FT-CI

Der Bildungsstreik

Charakter der Bildungsstreikbewegung

22/08/2010

Die Besetzungen in Österreich und Deutschland (trotz ihrer Unterschiede zwei länder mit sehr schwachen Arbeitskämpfen und wenig ausgeprägten politischen Konflikten, vor allem in Österreich) waren ein Ausdruck dafür, dass die Studierenden die hohen Studiengebühren und die zunehmend zu Entfremdung führenden Studienbedingungen und Rhythmen, die soziale Auslese sowie den Mangel an beruflichen Perspektiven und miserable löhne nicht mehr hinnehmen wollen. Studierende aus Österreich und Deutschland beginnen, mit offensichtlichen Unterschieden sowohl in zeitlicher als auch methodologischer Hinsicht, den „Rückstand“ zu ihresgleichen in Italien, Frankreich, Spanien und Griechenland aufzuholen, da die Probleme der Jugend in Europa überall gleich sind[15].

Doch obwohl die Proteste ein Ausdruck der Unzufriedenheit sind, war die Dynamik des Protestes bisher wenig zielgerichtet. So nahmen an den Protesten die unterschiedlichsten politischen Kräfte teil: von vorgeblich unpolitischen, über autonome, bis hin zu sozialistischen Kräften. Dominiert wurden sie jedoch von reformistischen, „unabhängigen“ Studierenden, oft von den sozial- und geisteswissenschaftlichen Fakultäten[16]. Wie das Beispiel Berlin zeigt, sind die Studierenden (und SchülerInnen, bei denen – nebenbei gesagt – die Studierenden es fast völlig versäumt haben, sie politisch in die Proteste zu integrieren) kaum über das hinausgekommen, was von den Unileitungen und der Regierung achselzuckend akzeptiert wird. Durch die Teilnahme an runden Tischen und sonstigen Verhandlungsrunden über Detailfragen wurde sich auf die Argumentationslinie der Regierung eingelassen, die von kleinen Reformen spricht, aber die Grundstruktur des BA/MA-Systems nicht antasten will.

Dies ist auch der wahre Kern der populären Forderung nach „mehr Geld“ für das Bildungssystem: während es sicherlich richtig ist, zu fordern, dass der Staat mehr Geld für Bildung ausgibt, bewirkt eine Beschränkung auf diese Forderung, wie sie beispielsweise Linke.SDS (Studierendenverband der Linkspartei) vertritt, nicht mehr als einen Verzicht auf die Mobilisierung anderer Teile der Bevölkerung – ArbeiterInnen und andere unterdrückte Gruppen – für einen gemeinsamen Kampf gegen die Auswirkungen der weltweiten kapitalistischen Wirtschaftskrise. Dies zeigt sich insbesondere jetzt, nach der Ankündigung der massiven Sparvorhaben der deutschen Bundesregierung, die zum Ziel haben, die Kosten der Krise auf die ArbeiterInnenklasse – zunächst vor allem auf prekär Beschäftigte, Arbeitslose, Frauen und Kinder, AusländerInnen – abzuwälzen. Wenn sich die Bildungsstreikbewegung auf die „Mehr Geld“-Forderung beschränkt, fällt sie effektiv auf den Trick der Bundesregierung, die Bildungsausgaben gegen Kürzungen im sozialen Bereich auszuspielen, herein.

Zudem besitzt die Bildungsstreikbewegung strukturelle Probleme, die einer weitergehenden Perspektive im Wege stehen. Ein Großteil der BildungsstreikaktivistInnen vertrat die Hoffnung, durch einen Minimalkonsens an Forderungen eine möglichst breite Masse an Studierenden zu erreichen. Die Fokussierung auf diesen Minimalkonsens ließ es nicht oder nur in sehr geringem Maße zu, politische Vorstellungen, die über die Bildungsthematik hinausgingen, zu thematisieren. Mensch verstand sich explizit als „unpolitisch“ – als ob die Besetzung eines Hörsaals unpolitisch sei – als ob die Ablehnung politischer Alternativen nicht die Akzeptanz der herrschenden Verhältnisse bedeutet!

Jedenfalls drückte sich diese Sehnsucht nach einem „unpolitischen“ Bildungsprotest auch in der weitverbreiteten Ablehnung jeglicher politischer Organisierung aus. Die Herausbildung demokratisch legitimierter bundesweiter Strukturen wurde immer wieder torpediert, genauso wie die Teilnahme politischer Zusammenschlüsse als politische Gruppen am Bildungsstreik. Stattdessen praktizierten die Bildungsstreikenden reine Konsensverfahren. Diese sind in mehrerer Hinsicht problematisch: einerseits können einzelne Personen den Willen der übergroßen Mehrheit faktisch außer Kraft setzen, sodass eine Radikalisierung der Proteste praktisch unmöglich wird. Andererseits bedeutet der Zwang zur Konsensfindung, dass die Teilnahme an Entscheidungen durch Zeitressourcen noch weiter beschränkt wird als ohnehin schon durch das BA/MA-System. Denn anstatt jedem/r die Möglichkeit zur Partizipation zu geben, wie dies von VerfechterInnen eines reinen Konsensprinzips immer wieder behauptet wird, entscheiden letztlich immer diejenigen, die am meisten Zeit haben, endlose Diskussionen über sich ergehen zu lassen. Wenn diejenigen, die anderer Meinung sind, nicht die Möglichkeit haben, durch Mehrheitsabstimmungen ihre Meinung kundzutun, entscheiden am Ende die, die nach ewigen Diskussionen immer noch da sind. So bildet sich letztlich eine kleine elitäre Gruppe, die über die große Mehrheit, die weniger Zeit hat, bestimmen kann. Damit wird die Einstiegsschwelle zur politischen Teilhabe schlussendlich nicht verringert, sondern massiv erhöht. Stattdessen hätte ein von der Vollversammlung gewähltes und ihr jederzeit rechenschaftspflichtiges Streikkomitee eine viel breitere demokratische Teilhabe ermöglicht. (Wie wir im Ausblick am Ende diesen Dokuments genauer darstellen.)

Ìberspitzt gesagt könnte behauptet werden, dass es (zumindest für einen Teil der Protestierenden) eher um die Verbesserung der eigenen, eh schon herausgehobenen Position ging als darum, die Voraussetzungen für „freie Bildung für alle“[17] zu schaffen. Dies zeigt sich auch daran, dass wenig unternommen wurde, Lohnabhängige in den Protest zu integrieren: zwar gab es an der FU und in ganz Berlin studentische Unterstützung für die Reinigungskräfte und die Mensa-Beschäftigten, die in den Streik getreten waren – aber der Anstoß für solche Aktionen kam von einer verschwindend kleinen Minderheit, in erster Linie AktivistInnen von trotzkistischen Organisationen (wie Marx21, SAV und RIO) und wurde nur so weit unterstützt, wie es wenig Aufwand gab – die vielgerühmte Vollversammlung in der Mensa kam hauptsächlich aufgrund eines glücklichen Zufalls zustande, und weitergehende Arbeit mit den Beschäftigten fand (außerhalb der AG Arbeitskämpfe) nicht statt.

Die wenigen Fälle von Verbindung mit ArbeiterInnenkämpfen, die es gab, entwickelten sich nicht von alleine. Auch an der FU Berlin, wo ein Arbeitskampf der Studentenwerks-Beschäftigten wörtlich direkt vor der Tür stattfand, war Solidarität keine Selbstverständlichkeit: Bei einer studentischen Vollversammlung stimmten rund ein Drittel der 500 TeilnehmerInnen für die Nicht-Behandlung der vorgeschlagenen Solidaritätserklärung. Nur die monatelange Ìberzeugungsarbeit der "AG Arbeitskämpfe", die von AktivistInnen von RIO angeführt wurde, machte es möglich, beide Kämpfe zusammenzuführen: im Rahmen eines Warnstreiks beim Studentenwerk konnte die größte Unimensa der Stadt komplett lahmgelegt werden. An einer Vollversammlung in der besetzten Mensa nahmen dann 600 Studierende und auch 100 Beschäftigte teil, die mit stehenden Ovationen begrüßt wurden[18].

Die Haltung der meisten BesetzerInnen war, das Solidarität wünschenswert wäre, solange mensch nichts dafür machen muss. So z.B. ein Interview mit einem Streikaktivisten aus der jungen Welt: Er wird gefragt: "Wie stellen Sie sich eine Vernetzung mit anderen sozialen Protestbewegungen vor?" und antwortet: "Das ist natürlich wünschenswert. Die Voraussetzung ist für uns allerdings immer, daß sich diese anderen Gruppen auch für freie und selbstbestimmte, also emanzipatorische Bildung einsetzen. Da muß man schon gucken, wo die Schnittmengen liegen."[19] Etwas platt zusammengefasst: "Andere Leute sollten unsere Forderungen aufgreifen, aber wir denken nicht daran, für Forderungen von anderen zu kämpfen." Und tatsächlich war in den wenigsten Forderungskatalogen der besetzten Hörsäle – auch wenn sie 100 Punkte umfassten – etwas über das dreigliedrige Schulsystem, Arbeitszeitverkürzung, Lohnerhöhungen oder einen Stopp von Massenentlassungen zu lesen – selbst die Frage von prekären Arbeitsverhältnissen an der eigenen Uni tauchte eher selten auf.

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