Teil I
Einleitung
In den letzten Jahren ist sowohl in den linken Organisationen als auch in akademischen Kreisen die Debatte um das Verhältnis zwischen dem „Politischen“ und dem „Sozialen“ zum Allgemeinplatz geworden.
Diese Polemiken reichen von der Umdeutung liberaler Theorien durch postmarxistische Postulate, die die absolute Autonomie der politischen Sphäre, d.h. ihre Unabhängigkeit von jeglicher objektiver Bestimmung[i], festsetzen, bis hin zur Neuformulierung historischer Probleme der marxistischen Strategie wie dem Verhältnis von Gewerkschaftskampf und politischem Kampf und in letzter Konsequenz von unmittelbaren Interessen und historischen Zielen des Proletariats von Seiten bestimmter linker Strömungen wie der LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire) in Frankreich oder der SWP in Großbritannien (Socialist Workers Party).
Diese Diskussionen sind keine Neuheit; im Gegenteil haben sie die Geschichte des Marxismus und der Arbeiterbewegung der letzten anderthalb Jahrhunderte geprägt.
Die Tatsache, dass die Ungleichheit zwischen dem „Politischen“ und dem „Sozialen“ von den der kapitalistischen Herrschaft innewohnenden Bedingungen herrührt, schließt nicht aus, dass sich diese in verschiedenen historischen Phasen in konkreten Merkmalen äußert.
Schon im 19. Jahrhundert erörterte Marx dieses Verhältnis, indem er die Begriffe der hegelschen Dialektik, wie der Entwicklung der „Klasse an sich“ in „Klasse für sich“ oder dem Wandel der Arbeiterklasse in „politische Partei“[ii], übernahm. Die Auffassung, dass das Proletariat im politischen Kampf mit dem Ziel agieren solle, die bürgerliche Macht zu vernichten und einen eigenen Staat zu etablieren, unterschied den Marxismus von anderen Strömungen, die im Innern der Arbeiterbewegung des XIX. Jahrhunderts existierten, wie dem Tradeunionismus, den utopischen Sozialisten und dem Anarchismus.
Diese Beziehung war aber auf keinen Fall harmonisch. Marx unterschied zwischen der von ihm so genannten „Partei im historischen Sinne“, die mit der Arbeiterklasse als politisches Subjekt übereinstimmte, sich ihrer Ziele bewusst und in ihrer Existenz bereits die kommende Gesellschaft antizipierte, und der „Partei vorübergehender Natur“[iii] bzw. konkreter Organisationen, die einen vorübergehenden Charakter hatten und deren Ziele aufhören konnten, mit den historischen Zielen des Proletariats übereinzustimmen.
Diese Diskussion wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts immer wichtiger, welches, im Unterschied zum vorangegangenen Jahrhundert, mit dem Imperialismus eine Epoche von „Krisen, Kriegen und Revolutionen“ eröffnete, die sich durch die Aktualität der proletarischen Revolution auszeichnete. Der Widerspruch zwischen „Spontanität und Bewusstsein“ war eine Schlüsselfrage, die maßgeblich die politischen Kämpfe des russischen Marxismus zwischen 1902 und 1903 kennzeichnete, und er konfrontierte Lenin mit dem Ökonomismus, dessen wichtigste Schlussfolgerungen in der Schrift „Was tun?“ dargelegt werden.
In dieser Schrift unterschied Lenin zwischen dem tradeunionistischen Bewusstsein der Arbeiterklasse und der „sozialistischen Wissenschaft“, die „von außen“ durch marxistische Intellektuelle in die Arbeiterklasse herangetragen wurde. Hierbei bediente er sich seinerseits einer Definition Kautskys. Somit beinhaltete der politische Kampf gegen den Zarismus eine politisch-ideologische Dimension: für Lenin funktionierte die bürgerliche Ideologie spontan auf der Ebene des gewerkschaftlichen Kampfes; aus diesem Grund war es notwendig, eine revolutionäre Organisation aufzubauen, die sich aus der Arbeiterklasse speiste, aber nicht in dieser aufging.[iv]
Diese Diskussion kam im Laufe der verschiedenen russischen Revolutionen erneut auf, sowohl 1905 als auch 1917, in Bezug auf das Verhältnis zwischen den Sowjets als Organe der Einheitsfront und Selbstorganisation der Massen und der bolschewistischen Partei, d.h. in der Umsetzung der Diktatur des Proletariats . Sie gipfelte in der Formulierung Trotzkis vom russischen pluralistischen Parteiensystem als programmatischer Norm für die Ìbergangsgesellschaften und in der Ausarbeitung des Ìbergangsprogrammes, das die alte Trennung zwischen Minimal- und Maximalprogramm überwand, indem er ein Bündel an Ìbergangsforderungen formulierte, die als Brücke fungierten zwischen dem aktuellen Bewusstsein und den historischen Interessen des Proletariats.
Heutzutage wird der konkrete Inhalt dieser Diskussionen von so etwas wie einem „Zeitgeist“ bestimmt, der von der Niederlage des letzten Aufstiegs von 1968-76 herrührt. Diese Auseinandersetzung hinterfragt sowohl das „soziale Subjekt“ - die Arbeiterklasse - als auch das politische Subjekt - die leninistische Partei, auf die der klassische Marxismus historisch seine Strategie der sozialen Revolution stützte.[v] Diese Sichtweise, die sich in den letzten Jahrzehnten als theoretische Mode herausgebildet hat, hat einige der opportunistischsten Strömungen der sogenannten „extremen Linken“ trotzkistischer Prägung stark beeinflusst.[vi]
Eine Reihe historischer Faktoren kam bei der Herausbildung eines komplexen Szenarios zusammen: die neoliberale Offensive, der Rückschritt der Arbeiterklasse hinsichtlich ihrer materiellen Errungenschaften, ihrer Organisation und Fähigkeit zum Kampf, und schließlich der Zusammenbruch der stalinistischen Regime zwischen 1989 und 1991 sowie die kapitalistische Restauration ohne Widerstand der Arbeiterschaft. Dies sind die verschiedenen Elemente, die dazu führten, dass, sowohl aus den Reihen des militanten Marxismus als auch aus denen des akademischen Marxismus, welche von modischen Ideologien geprägt war, das Ende der Ära ausgerufen wurde, die mit der Oktoberrevolution von 1917 begonnen hatte.[vii]
In einem Artikel, in dem er versuchte die Argumente derjenigen zu widerlegen, welche unter dem Vorwand, den Stalinismus zu attackieren, den Bolschewismus und Marxismus angriffen, zeigte Trotzki auf Folgendes auf: reaktionäre Epochen „zersetzen und schwächen nicht nur die Arbeiterklasse und isolieren ihre Avantgarde, sondern drücken auch das allgemeine ideologische Niveau der Bewegung herab und werfen das politische Denken auf bereits längst durchlaufene Etappen zurück.“ Und er definierte als wichtigste Aufgabe der Vorhut, „sich nicht von dem allgemeinen, rückwärts flutenden Strom davontragen zu lassen - es heißt gegen den Strom schwimmen.“
Obgleich die Possibilisten diese Politik wahrscheinlich mit Sektierertum verwechseln würden, zog Trotzki den Schluss daraus, dass „[sie] in Wirklichkeit nur einen gigantischen neuen Sprung vorwärts vor[bereitet], zusammen mit der Welle des kommenden historischen Aufschwungs.““.[viii]
Wenn wir die Folgen der neoliberalen Offensive untersuchen, stellen wir fest, dass das „politische Denken“ auch derjenigen, die sich als Marxisten bezeichnen, einen Rückschritt erlitten hat und in längst überwundene Stadien zurückgefallen ist: von einem wieder neu belebten Bersteinianismus bis hin zu anarchistischen und autonomistischen Utopien: alle geben vor große Neuheiten zu sein. In diesem Sinne hat es ein großer Teil der linken Organisationen trotzkistischer Prägung nicht verstanden, sich an die ideologischen und strategischen Positionen zu „klammern“, wie z.B. die Abkehr der LCR vom Kampf um die Diktatur des Proletariats.
Nach einem Rückschritt, der in den letzten 30 Jahren durch neoliberale Attacken verstärkt wurde, hat sich jedoch die Realität verändert. Um nur ein beispielhaftes Ereignis zu nennen: die Veränderung begann langsam aber unaufhaltsam 1995 mit dem Streik der französischen Arbeiter im Dienstleistungssektor, der als Wendepunkt fungierte und als Beginn eines erneuerten Widerstandes der Arbeiterschaft gegen die kapitalistische Offensive.
Diesem folgte das Aufkommen der Antiglobalisierungsbewegung mit den Mobilisierungen in Seattle 1999 und später die Bewegung gegen den imperialistischen Krieg im Irak.
In Lateinamerika verschärfte sich die Tendenz zur direkten Aktion und zu Volkserhebungen (Argentinien 2001, Bolivien 2003, Ecuador etc.), die damit endeten, dass einige neoliberale Regierungen gestürzt wurden, was einen Regierungswechsel sowie das Wiederaufleben von populistischen Tendenzen zur Folge hatte.
Das Wirtschaftswachstum der letzten 4 Jahre hat die Arbeiterreihen einerseits unter einem sozialen Gesichtspunkt gestärkt, da Millionen neuer junger Arbeiter in die Arbeitswelt integriert wurde. Auch hinsichtlich der Verstärkung des Forderungskampfes wurden die Arbeiterreihen gestärkt, was in vielen Fällen zu neuen Tendenzen der Reorganisation oder zum Einsatz radikalisierter Kampfmethoden geführt hat.
Das Wiedererstarken der Arbeiterklasse hat jedoch auch die Entwicklung reformistischer Tendenzen gefördert, was die Perspektive in Hinsicht auf die Herausbildung der Arbeiterklasse als vorherrschendes politisches Subjekt eines emanzipatorischen Projektes und ihren bewussteren Ausdruck in dem Aufbau marxistischer Arbeiterparteien mit starker Verankerung im Proletariat widersprüchlicher und komplexer macht. Dies wird deutlich in dem Nichtvorhandensein von Tendenzen zur Klassenunabhängigkeit bei wichtigen Sektoren der Arbeiterbewegung.
Das zweite wichtige politische Phänomen, das z.Z. neben dem Wiederaufflammen von Arbeiterkämpfen eine Rolle spielt, ist die Krise der sogenannten „bürgerlichen Arbeiterparteien“ - vornehmlich der SPD in Deutschland, dem französischen PS, der britischen Labour Party, den kommunistischen Parteien in Italien und Frankreich und der PT in Brasilien, d.h. derjenigen reformistischen Arbeiterparteien, die in ihrer Mehrheit am Ende des 19.
und am Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet wurden (außer der brasilianischen PT bei der es sich um eine spätere Erscheinung handelt). Bei allen diesen Parteien handelt es sich um die historische Führung der Arbeiterbewegung, die in verschiedenen ländern der kapitalistischen Peripherie ihre Führungsrolle mit dem bürgerlichen Nationalismus teilten.
Die Krise dieser Parteien ist eine Reaktion darauf, dass sie die Ausführenden der neoliberalen Offensive gewesen sind. Dabei sind sie zu sozial liberalen Parteien geworden, was sie von ihrer Wählerbasis, die traditionelle aus Arbeitern bestand, entfremdet hat.
Vor diesem allgemeinen Panorama ist seit einigen Jahren eine Diskussion entstanden, zunächst in der europäischen extremen Linken, über den Aufbau „breiter antikapitalistischer Parteien“. Diese Politik führte 1998 zur Gründung der Scottish Socialist Party, 1999 des Bloco de Esquerda in Portugal, der Linkspartei in Schweden, der rot-grünen Allianz in Dänemark (die beiden letzteren Anfang 1990), der Socialist Alliance und später 2004 von RESPECT in Großbritannien. Die französische LRC ihrerseits hat zur Bildung einer antikapitalistischen Partei aufgerufen[ix]. Teil desselben Prozesses war die Teilnahme aller trotzkistischen Tendenzen innerhalb von Rifondazione Comunista in Italien während der letzten 10 Jahre und kürzlich die Bildung der Linkspartei in Deutschland[x], obgleich es sich hierbei nicht um Projekte handelt, die von der extremen Linken initiiert worden sind, sondern um objektive Prozesse, die im Falle der Linkspartei das Ergebnis von Brüchen in der Sozialdemokratie oder im Falle der Rifondazione bei der PCI sind.
In der Folge wurde diese Politik auch von der lateinamerikanischen Linken übernommen, in Brasilien mit der Gründung der PSOL im Anschluss an den Bruch eines Sektors der Linken der PT ??? mit der PT und mit den Bestrebungen zur Gründung der PSUV (der chavistischen Partei) in Venezuela. InArgentinien ist die „Neue Linke“ der Ausdruck dieser breit angelegten Projekte, angefangen mit der MST (Movimiento Socialista de Trabajadores/Sozialistische Arbeiterbewegung), die sich auf die linke Mitte zubewegt hat und einen Zusammenschluss mit abtrünnigen, peronistischen Sektoren, die sich im Proyecto Sur zusammengefunden haben, herbeizuführen versucht. Die Führung der MST versucht nicht einmal die Form zu wahren und erörtert offen die Möglichkeit, sich mit „einem nationalen und volkstümlichen Sektor“ und mit dem „radikalisierten Progressismus“ zu einer gemeinsamen Bewegung zusammenzuschließen, die, sogar programmatisch, der gesamten Erfahrung der trotzkistischen Linken der letzten Jahre[xi], überlegen wäre (sic!). Die gleiche politische Logik hat die MST und ihre Anhänger in Venezuela dazu geführt, im Chavismus aufzugehen.[xii]
Diese Projekte, in denen Reformisten und Revolutionäre zusammenleben und denen eine klare Klassendefinition vollkommen fehlt, die entweder kleinbürgerliche Parteien oder Volksfronten bilden oder aber in eine bürgerlich nationalistische Partei wie die von Chávez eintreten, wurden durchgeführt, um auf opportunistische Weise das Vakuum auszufüllen, das durch die Hinwendung des traditionellen Reformismus zum Neoliberalismus entstanden war. Der traditionelle Reformismus beruhte in erster Linie auf Wahlen und nicht auf Prozessen politischer Radikalisierung.
Angesichts des langsamen Wiedererstarkens der Arbeiterklasse und des Aufkommens „postneoliberaler“ Mitte-Linksregierungen kapitulierten viele dieser Bewegungen, wie im extremen Fall der brasilianischen Sektion des Vereinigten Sekretariats DS (Democracia Socialista), die sich an der kapitalistischen Regierung Lulas mit einem Minister beteiligte, oder in der Folge ihre „antineoliberale“ Version, die PSOL, die im Parlament die sogenannten „Super Simples“ Gesetze mit verabschiedete, welche die Reform des Arbeitsrechtes zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmer vorwegnahmen. Das weitere große „Modell“ einer großen antikapitalistischen Partei, die Rifondazione Comunista, die das Lob und die Unterstützung der trotzkistischen Linken während mehr als einer Dekade[xiii] genoss, endete mit einer Teilnahme an der Regierung Prodis und unterstützte eine imperialistische und gegen die Arbeiter gerichtete Politik, wie z.B. den Verbleib italienischer Truppen in Afghanistan. Oder in jüngerer Zeit die endgültige Krise des Bündnisses RESPECT. Wir sind der Ansicht, dass mehr als 10 Jahre nach Beginn dieser Erfahrung und angesichts der Krise, die heute verschiedene dieser Gruppierungen schüttelt, es notwendig ist, eine kritische Bilanz dieser Versuche zu ziehen. In diesem Artikel wollen wir eine Auseinandersetzung mit der LCR in Frankreich und der Socialist Workers Party aus Großbritannien führen, die zu den wichtigsten Motoren dieser Projekte „breiter antikapitalistischer Parteien“ zählen. In beiden Fällen glauben wir, dass, trotz ihrer Unterschiede, die in theoretischer Hinsicht erfolgte Konstituierung von Organisationen ohne strategische noch Klassenabgrenzung in enger Verbindung zur Verabschiedung von einer konsequent revolutionären Strategie steht.
Ohne revolutionäre Hypothese: die Debatte in der LCR
Die strategischen Hypothesen
In einer kürzlich verfassten Schrift[xiv] bezieht sich der marxistische Intellektuelle und Anführer der LCR, Daniel Bensaïd, auf die Auswirkungen in den Reihen des Marxismus des nachhaltigen Rückzugs der internationalen Arbeiterbewegungen in den letzten 30 Jahren als „Nullpunkt der Strategie“, d.h., des Verschwindens von Auseinandersetzungen und politischen Kämpfen zwischen den Strömungen der extremen Linken um entscheidende Probleme wie die Autoorganisation, den Fokismus, die Teilnahme oder Nichtteilnahme von Revolutionären an Volksfronten usw.
Obgleich der Mai 1968 in Frankreich, der heiße italienische Herbst von 1969, die portugiesische Revolution von 1974 und, in der halbkolonialen Welt der Vietnamkrieg und die revolutionären Prozesse der frühen siebziger Jahre wie in Chile, die Diskussion über die Strategien zur Ergreifung der Macht hatten aufflammen lassen - darunter diejenigen Strategien, die sich auf die Arbeiterklasse und den aufständischen Generalstreik stützen, sowie des Weiteren die der Anhänger der Guerilla, des Fokismus oder des sogenannten „verlängerten Krieges“ - setzte die Niederlage dieser Versuche dem strategischen Diskurs mit einem Schlag ein Ende, und dies nicht, weil sich eine der großen Strategien durchgesetzt oder als überlegen erwiesen hätte, sondern weil beide von der Konterrevolution vernichtend geschlagen oder aber durch demokratisch-bürgerliche Mechanismen unterbunden worden waren.[xv]
Laut Bensaïd stehen sich seit der zweiten Nachkriegszeit zwei große „strategische Hypothesen“ gegenüber. Eine der beiden nennt er „aufständischen Generalstreik“, die trotz aller Ungenauigkeit oder Vereinfachung auf eine Revolutionsstrategie mit Vorbild in der russischen Oktoberrevolution von 1917 hinweist. Dies bedeutet eine Revolution, die von der Arbeiterklasse im Bündnis mit den subalternen Klassen angeführt wird, unter Hegemonie der Stadt über das Land, und die die Diktatur des Proletariats errichtet. Diese stützt sich auf die Sowjets oder die Arbeiter- und Bauernräte als Organe der Selbstbestimmung und eignet sich die Macht mit Hilfe eines bewaffneten Aufstandes an, der von einer revolutionären marxistischen Partei angeführt wird.
Die andere stützte sich im Wesentlichen auf die Bauernschaft und kleinbürgerliche Führungen, die i.a. populistisch oder Varianten nationaler Stalinismen waren. Ihre Methode war der Guerillakrieg und ihre Strategie die der Klassenzusammenarbeit mit Sektoren der „nationalen Bourgeoisien“, wie z.B. der „Block aus vier Klassen“ von Mao Tse-Tung oder aber die „demokratischen“ Regierungen von Vietnam oder Kuba, die der Enteignung und Nationalisierung der Produktionsmittel vorangingen. Die Fokus-Theorie von Che Guevara war Teil dieser Guerillastrategie im Sinne einer Revolution, die nicht durch den Aufstand der Massen, sondern durch eine Partei-Armee durchgeführt wurde. Ihr Ziel war jedoch die sozialistische Revolution, d.h., die Enteignung und Nationalisierung der Produktionsmittel, und nicht das Bündnis mit der „nationalen Bourgeoisie“.[xvi]
Um das Panorama des strategischen Diskurses zu vervollständigen, gibt es, neben diesen beiden bedeutenden Hypothesen des Entstehens einer Doppelmacht, die Bensaïd anführt- - der verlängerte Krieg und der aufständische Generalstreik - zwei weitere Strategien, die aus den Reihen der Unterdrückten entstanden sind[xvii]:
Eine könnten wir als „graduelle Strategie“ bezeichnen. Sie wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von den Parteien der II. Internationalen angenommen, zunächst als vermeintlicher evolutiver Weg zum Sozialismus und schließlich als Form der Verwaltung des kapitalistischen Staates, die schließlich zum Reformismus führte. Dieser stützt sich auf den Syndikalismus und den Parlamentarismus als Methoden, um teilweise Verbesserungen zu erreichen. Hierbei handelt es sich bis heute um das wichtigste politische Phänomen, das nicht nur traditionelle reformistische Parteien umfasst -Sozialdemokraten, Stalinisten, Labouristen- sondern auch die Gewerkschaftsführungen, durch die die bürgerliche Ideologie weiten Teilen der Lohnabhängigen übertragen wird. Obgleich die Bedingungen wie z.B. zu Zeiten des Boom in der Nachkriegszeit nicht mehr existieren, die es erlaubten, dauerhafte Reformen zu erzielen, herrscht unter den Ausgebeuteten nach wie vor die Illusion vor, mit Hilfe des Reformismus ihre Forderungen umsetzen zu können, indem nämlich Druck ausgeübt wird auf die kapitalistischen Institutionen.
Die vierte Strategie umfasst den Autonomismus und Ìberbleibsel des Anarchismus, welche Bensaïd korrekt als „Illusion des Sozialen“ bezeichnet, gerade weil sie die „Immanenz“ des Politischen im Sozialen vorgibt. Die Tatsache, dass sowohl die staatlich-politische Vermittlung negiert wird als auch die Notwendigkeit, dass die Unterdrückten die bürgerliche Macht zerstören und ihren eigenen Staat aufbauen, der sich auf Organe der Selbstbestimmung der Massen stützt, führt dazu eine Strategie zu negieren und statt dessen einfach den „Rückzug“ vorzuschlagen, statt der Konfrontation und des Sturzes der besitzenden Klassen und ihrer Staaten.
Im Reich der Ideen lassen diese Strömungen gewisse vorkapitalistische Utopien wiederaufleben, die in vielen Aspekten an Proudhon erinnern, wie die Forderung nach Produktion in kleinem Maßstab und die kommunale Organisation. Diese anarchistischen Ideologien, die am deutlichsten ihre Ablehnung in Bezug auf den Aufbau einer politischen revolutionären Organisation und die Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats als Ìbergangsgesellschaft zwischen dem Kapitalismus und dem Sozialismus geäußert haben, haben sich schließlich einigen Varianten des politischen Regimes der Bourgeoisie angepasst. In den letzten Jahren erlebten die autonomistischen Tendenzen einen Höhepunkt mit dem Anstieg der altermondialistische Bewegung, die sich im Wesentlichen auf Jugendliche der Mittelklasse und weitaus weniger auf kämpferische Gewerkschaftssektoren stützt.[xviii]
Die Folgen des zweiten Weltkrieges, die Verlagerung der Revolution vom Zentrum in die kapitalistische Peripherie führten dazu, dass die historische Variante der antikolonialen Revolutionen hauptsächlich mit ländlicher Basis und nicht revolutionären Führungen zu den häufigsten Ereignissen zählten. In einigen Fällen wie den o.g. etablierten sich schließlich äußerst bürokratisierte Arbeiterstaaten.[xix] In anderen ländern wie Algerien und Nicaragua wurde die Zersprengung der kapitalistischen Beziehungen nicht vorangetrieben. Die Ausbreitung dieser Art von Revolutionen hatte einen solch großen Einfluss auf die Reihen des Trotzkismus der Nachkriegszeit, dass z.B. Nahuel Moreno den Schluss daraus zog, dass diejenige Hypothese, die von Trotzki als Ausnahme betrachtet worden war, sich in die „Norm“ der Revolutionen des 20. Jahrhunderts verwandelt hatte.[xx]
Während die Strategie der Arbeiterrevolution im letzten Aufschwung linksrevolutionärer Strömungen, die Mitte der 70iger Jahre ihren Höhepunkt erreichten, sehr viel schwächer war, trugen fokistische Hypothesen oder diejenigen des verlängerten Krieges maßgeblich zur Niederlage verschiedener Prozesse bei oder endeten in der Errichtung vollständig deformierter Arbeiterstaaten, wie im Falle Vietnams, wo, indem dort eine nationale Variante des Stalinismus errichtet wurde, verhindert wurde, dass die Niederlage des Imperialismus zu einem strategischen Sieg der weltweiten Arbeiterklasse wurde.
Obwohl Bensaïd vorgibt, auf der Grundlage der Gegenüberstellung zwischen „aufständischem Generalstreik“ und „verlängertem Krieg“ eine Synthese der revolutionären Prozesse des 20. Jahrhunderts vorzunehmen, führt er an keiner Stelle an, dass es sich nicht um zwei gleichwertige Strategien zur Erlangung der Macht handelte. Hinsichtlich der strategischen Debatte darf nicht außer Acht gelassen werden, dass, obgleich die LCR in Frankreich auf der Grundlage der Hypothese des „aufständischen Generalstreiks“ unter Hinzunahme von Elementen des „Guevarismus“ gegründet wurde, das Vereinigte Sekretariat der Vierten Internationale nicht nur die Führung Ho Chi Minhs während des Vietnamkriegs[xxi] unterstützte, sondern auch in Lateinamerika eine Bauernstrategie, also einen „Volkskampf“ oder den Fokismus, vorzog. Dies hätte in keinster Weise zu der Errichtung von Arbeiterstaaten auf der Basis von Organen der Selbstbestimmung der Massen geführt. In Argentinien z.B. war die offizielle Sektion des Vereinigten Sekretariats während einiger Jahre die PRT, geleitet von Francisco René Santucho, die eine Strategie der Klassenkollaboration[xxii] verfolgte. In Nicaragua unterstützte das Vereinigte Sekretariat die Sandinistische Front, die offen eine bürgerliche Politik der Mischwirtschaft verfolgte. Ihr Sieg über die Diktatur Somozas gipfelte nicht einmal in der Enteignung der Kapitalisten und endete schließlich mit der Machtübergabe an Violeta Chamorro durch Wahlen.
Diese Diskussion ist nicht von geringerer Bedeutung. Nach drei Dekaden eines tiefgreifenden Rückgangs des ideologischen Bewusstseins, ist die soziale Revolution als Alternative zum kapitalistischen System und im Besonderen die Hypothese des „aufständischen Generalstreiks“ gründlich hinterfragt und aus den strategischen Debatten gelöscht worden, nicht nur von (post)marxistischen Intellektuellen, sondern auch von Organisationen der marxistischen Linken selbst, die als „mögliche Revolution“ das chavistische Regime in Venezuela oder die Regierung von Evo Morales ansehen. In die gleiche Richtung geht die Vereinnahmung Che Guevaras durch die LCR, welche die „Aktualität“ des Guevarismus für die „Erneuerung“ des Sozialismus des 21. Jahrhunderts zu beweisen versucht.
Letzteres stimmt zeitlich mit dem Aufruf zur Bildung einer neuen antikapitalistischen Partei überein.
Alle Tendenzen[xxiii] und Meinungen, die z.Z. in der „strategischen Debatte“ innerhalb der LCR geführt werden, haben einen gemeinsamen Nenner: die Gültigkeit der „Hypothese des aufständischen Generalstreiks“ sei zu Ende, d.h. die „Ära der Oktoberrevolution“ sei an ihr Ende gekommen. Gleichzeitig hat der „verlängerte Krieg“, der von Organisationen der extremen Linken wie der Roten Armee Fraktion in Deutschland oder den Roten Brigaden in Italien geführt wurde, gezeigt, dass er in den fortgeschrittenen kapitalistischen ländern machtlos ist.
Obgleich die LCR früher zwischen zwei „Hypothesen“ der bewaffneten Revolution - die eine als Aufstand und die andere als Guerillakrieg - schwankte, glauben wir, dass sie jetzt, da sie diese als obsolet betrachtet, das „Dilemma“ zu lösen versucht, indem sie sich auf eine Strategie der Wahlen und des Parlamentarismus zubewegt. Bezüglich dieser Strategie ist nicht nur die Perspektive einer wirtschaftlichen und sozialen Katastrophe in den zentralen ländern verschwunden, sondern auch die des gewalttätigen Eingreifens des Proletariats und der subalternen Klassen. Nur so lässt sich der „Glauben“ an die bürgerliche Demokratie erklären, und dies obwohl sie nicht einmal über einen bescheidenen parlamentarischen Block verfügen, anders als z.B. die deutsche Sozialdemokratie, die bei jeder Wahl ihre Vertretung im Parlament erhöhte, was ihre reformistische Strategie verstärkte.
Die Führung der LCR betrachtet die Art und Weise des Entstehens und die Charakteristika der Doppelmacht (die strategische Hypothese) als unvorhersehbar. Im Gegensatz dazu ist das einzige, was ihr sicher und wünschenswert erscheint, dass die Institutionen des bürgerlich-demokratischen Regimes eine wichtige Rolle bei der Entstehung dieser Doppelmacht spielen werden.
Die „Demokratie bis zum Ende“ ist......die Diktatur der Bourgeoisie
Es ist eine bekannte Tatsache, dass die LCR 2003 auf einem Kongress beschlossen hat, die Zielvorstellung der Diktatur des Proletariats aus ihrem Programm zu streichen. Dabei führt sie linguistische Bedenken an, da der Begriff „Diktatur“ aufgrund der großen Anzahl diktatorischer und totalitärer Regime, die im 20.
Jahrhundert existierten, mit einem repressiven und autoritären System assoziiert werde. In einem vorangegangenen Artikel[xxiv] haben wir diese Position bestritten, indem wir versucht haben aufzuzeigen, dass es sich in Wirklichkeit nicht um ein „formales“ oder rein sprachliches Problem handelt, sondern dass die wahre Bedeutung dieses programmatischen Wechsels darin liegt, den Kampf um die Zerstörung des bürgerlichen Staates und die Errichtung eines sowjetischen Arbeiterstaates durch die Strategie einer „radikalen Demokratie“ zu ersetzen.
Dies setzt als Hypothese voraus, dass die Revolution in den fortgeschritteneren ländern, unabhängig von der Form, die sie annehmen und von den Ereignissen, die sie auslösen werden, unweigerlich einen hohen Grand an Kontinuität mit den zur Zeit existierenden Institutionen der bürgerlichen Demokratie, v.a. dem Parlament, beinhalten wird.
Dieser strategische Wechsel wurde nicht umsonst mit der eurokommunistischen Umorientierung der stalinistischen Parteien des Westens gegen Mitte der 70iger Jahre verglichen.
Diesbezüglich erörtert z.B. A. Artous, dass „ es zumindest in den ländern Westeuropas (und auch in anderen ländern) undenkbar ist, dass die neue Macht vollkommen außerhalb gewisser bereits existierender politischer Institutionen erwachsen wird, insbesondere der auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechtes gewählten Versammlungen, Deshalb muss ab sofort für ihre radikale Demokratisierung gekämpft werden“.[xxv] Bensaïd hebt auch die Rolle hervor, die aus seiner Sicht das „allgemeine Wahlrecht“ in ländern mit einer „mehr als hundertjährigen parlamentarischen Tradition“ spielen wird.
Die Diskussionen über die Ìbergangsgesellschaft und die Neubeurteilung der Stalinisierung der ehemaligen UDSSR unterstreichen, dass es sich nicht nur um eine Frage der Terminologie handelt. Die programmatische Neuorientierung bezieht sich nicht nur auf das politische Regime, sondern dehnt sich auch auf die Eigentumsformen und die Grundpfeiler des Ìbergangsstaates aus. Das System der „doppelten Vertretung“ , d.h., der Koexistenz eines Rätesystems und einer parlamentarischen Kammer, welche in letzter Instanz, durch das allgemeine Wahlrecht bestätigt, in Ausnahmesituationen entscheiden würde, ist der politische Ausdruck eines Kooperativismus, mit dem die LCR hofft, der Gefahr einer Bürokratisierung einer zukünftigen postkapitalistischen Gesellschaft entgegenzuwirken.[xxvi]
Ein Beispiel vom Entstehen einer „Doppelmacht“ im Inneren der bürgerlichen Institutionen, das Bensaïd anführt, ist der partizipative Haushalt von Porto Alegre. In ihm sieht er eine „Dialektik“ zwischen einer kommunalen Regierung, die auf der Grundlage des Allgemeinen Wahlrechtes gewählt wird, und der „Komitees“, die Haushaltsfragen diskutierten.[xxvii]
Die Dialektik zwischen der Gemeinde Porto Alegre und dem „partizipativen Haushalt“ endete jedoch in der Verwaltung des Staates und der kapitalistischen Wirtschaft.
Der Vorschlag, zwei Systeme, das bürgerlich republikanische und das Rätesystem, miteinander zu „kombinieren“, stellt zudem keine Neuheit dar. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine alte Idee Hilferdings und der Führer der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei, die während der Arbeiterrevolution in Deutschland 1919, nach dem Sturz des Kaisers, versuchten den Arbeiter- und Soldatenräten, die im Laufe der Revolution entstanden waren, einen Verfassungsrang zu erteilen. Dadurch wären sie in die Weimarer Republik integriert worden, was den Versuch darstellte, „die Diktatur des Proletariats mit der Diktatur der Bourgeoisie unter dem Zeichen der Verfassung“ zu vereinen.
Hiermit wollen wir sagen, dass die Faszination angesichts der Möglichkeiten, die die bürgerliche Demokratie bietet, genauso alt ist wie die Massenorganisationen der Arbeiterbewegung. Dies war auch der politische Weg der Anpassung der deutschen Sozialdemokratie am Anfang des letzten Jahrhunderts.
Der revisionistische Flügel, angeführt von Bernstein, hatte geglaubt, in der parlamentarischen Demokratie eine „zivilisierte“ Regierungsform zu finden, die den Despotismus der Klassendiktaturen überwunden hatte. Bald wurde deutlich, dass diese Konzeption auch vom „orthodoxen“ Flügel geteilt wurde, Kautsky war der Urheber des strategischen Wechsels, der unter der berühmten Unterscheidung zwischen „Abnutzungskrieg“ und „Sturmangriff“ subsumiert wird. Nach Kautsky war die deutsche Arbeiterklasse aufgrund der bereits eroberten Positionen in der Lage, einen „Abnutzungskrieg“ voranzutreiben, d.h. das bürgerliche System von innen her auszuhöhlen. Die geeignetsten Institutionen, um diese Strategie voranzutreiben, waren seiner Ansicht nach die Gewerkschaften und das Parlament. Gegen Pannekoek und Rosa Luxemburg argumentierend, legte er dar, dass „das Ziel unseres politischen Kampfes weiterhin dasselbe sei: die Eroberung der Staatsmacht durch das Erreichen der Mehrheit im Parlament und den Aufstieg des Parlamentes zur Herrschaft über die Regierung. In keinster Weise verfolgen wir die Zerstörung der Macht des Staates“.[xxviii]
Gegen diese evolutive Auffassung gerichtet, bestand Pannekoek darauf, dass die Stärke des Proletariats und die Machtlosigkeit der parlamentarischen Fraktion der Sozialdemokratie in einem umgekehrten Verhältnis zueinander stünden. Fast gleichzeitig legte Lenin in seinem Artikel Marxismus und Revisionismus eine der Kautskyschen Politik völlig entgegengesetzte Strategie dar, ohne dabei jedoch in die Diskussion der deutschen Sozialdemokratie einzugreifen. Er machte deutlich, dass „der Parlamentarismus nicht das Wesen der allerdemokratischsten bürgerlichen Republiken als Organe der Klassenunterdrückung [beseitigt], sondern er enthüllt es.“[xxix]. Gleichzeitig wies er auf eine interne „Dialektik“ zwischen dem Parlamentarismus und der bürgerlichen Demokratie hin: daraus dass den bis dahin ausgeschlossenen unterdrückten Massen eine Teilhabe an politischen Ereignissen erlaubt werde, resultiere nicht die Abschwächung der Krisen, sondern die Verschärfung der Klassenauseinandersetzungen in revolutionären Momenten.
Laut Lenin äußerte sich dazu folgendermaßen „Wer die zwangsläufige innere Dialektik des Parlamentarismus und des bürgerlichen Demokratismus nicht begreift, die eine noch heftigere Austragung des Streites durch Massengewalt mit sich bringt als in früheren Zeiten, der wird niemals imstande sein, auf dem Boden dieses Parlamentarismus eine prinzipienfeste Propaganda und Agitation zu betreiben, die die Arbeitermassen tatsächlich auf eine siegreiche Beteiligung an solchem "Streit" vorbereitet.“. Das Beispiel einer solch fehlenden Vorbereitung in einer parlamentarischen Phase sind die Vereinigungen oder Wahlbündnisse mit reformistischen oder liberalen Sektoren, die „das Bewusstsein der Massen nur abstumpfen und die wirkliche Bedeutung ihres Kampfes nicht verstärken, sondern abschwächen, weil sie die Kämpfenden an die am wenigsten kampffähigen, an die wankelmütigsten und am meisten verräterisch gesinnten Elemente binden“. Der extreme Ausdruck dieser Prozesse ist der „Ministerialismus“, d.h., die direkte Beteiligung an bürgerlichen Regierungen.
Diese Dialektik, von der Lenin und auch in ähnlicher Weise Pannekoek sprachen, setzte sich schließlich in Deutschland mit ihrer ganzen Macht durch. Das Ende ist bekannt. Die Kautskysche sogenannte „Abnutzungsstrategie“ untergrub schließlich die revolutionäre Befähigung der Sozialdemokratie und des deutschen Proletariats und führte von Niederlage zu Niederlage: die Sozialdemokratie zeigte, dass sie keine Partei war, die für den Klassenkampf gemacht war. Angesichts des bevorstehenden Ersten Weltkrieges unterließ sie es nicht nur, den Generalstreik zu organisieren, sondern ihr gesamter parlamentarischer Block, mit Ausnahme Liebknechts, stimmte für die Kriegskredite, die der deutsche Staat brauchte, um an der imperialistischen Schlachterei teilzunehmen. Die zweite große Katastrophe gleichen oder noch größeren Ausmaßes war der Aufstieg des Nazismus. Jahre später folgerte W.
Benjamin folgendermaßen: „ Der Konformismus, der von Anfang an bei der Sozialdemokratie zu Hause war, bezieht sich nicht nur auf ihre politische Taktik, sondern auch auf ihre ökonomischen Positionen. Hierin liegt einer der Gründe für ihren späteren Zusammenbruch. Nichts hat die deutschen Arbeiter so sehr korrumpiert wie die Ansicht, dass sie mit dem Strom schwimmen“.[xxx]
Heute versucht Artous eine Kritik zu vermeiden, indem er sich fragt, ohne jedoch eine Antwort zu geben, ob diese „Radikalisierung der Demokratie“, die von der LCR vorgeschlagen wird, nicht mit den Auffassungen der Austromarxisten in den 20iger Jahren und dem Eurokommunismus vergleichbar ist. Ohne die Unterschiede aufheben zu wollen zwischen der LCR und dem traditionellen Arbeiterreformismus wie dem der II. Internationale, der darauf hoffte, in einem Moment der politischen und sozialen Stabilität des Proletariats den Sozialismus durch friedliche und evolutive Mittel zu erreichen, macht doch die Sicherheit, mit der die Führer der LCR auf die Rolle vertrauen, die die bürgerliche Demokratie spielen wird, einen Vergleich unvermeidbar. Dabei macht sie ihre Mechanismen wie das Allgemeine Wahlrecht oder die Vollversammlung zu einem abstrakten Prinzip.
Die Führer der LCR handeln, als ob das 20. Jahrhundert nicht gewesen wäre. Selbst in ländern mit demokratischer Tradition verfällt die bürgerliche Demokratie in wirtschaftlichen Krisenzeiten, bei Zunahme des Klassenkampfes oder in irgendeiner „nationalen Krise“, die den Konsens zwischen den wichtigsten Klassen zunichte macht und die Arbeiterklasse und weitere subalterne Sektoren zum revolutionären Kampf drängt, in Bonapartismus, da ihre traditionelle soziale Basis, die städtischen Mittelklassen, das Vertrauen in ihre Mechanismen verliert, so dass sie sich Varianten zuwendet, die die Ordnung wiederherstellen. So erleichtert sie die offene Konterrevolution mit der Errichtung faschistischer Regime (oder brutaler Diktaturen, wie wir sie in Lateinamerika gesehen haben). Hierin lag die Tragödie des deutschen Proletariats, dass es nicht verstanden hatte, den Aufstieg des Nazismus mit revolutionären Methoden zu bekämpfen. Sogar in „normalen“ Momenten und innerhalb der klassischen Mechanismen der parlamentarischen Demokratie werden solche Prozesse antizipiert. Dies zeigt sich z.B. in der Wahl populistischer Rechtsvarianten, wie Le Pen in Frankreich oder in der Bonapartisierung des nordamerikanischen Regimes nach dem Attentat vom 11.
September. Obgleich die Führer der LCR darauf bestehen,
dass es sich nicht um eine Rückkehr zur alten Strategie der schrittweisen Eroberung der Macht auf parlamentarischem Weg handelt, ähneln ihr die „Demokratie bis zum Ende“ und der „Ministerialismus“ doch sehr.
Ìber die Arbeiterregierung
Im vorangegangenen Abschnitt haben wir uns auf die wichtigsten strategischen Diskussionen bezogen, die heute die LCR durchziehen, nämlich die Frage, ob in den fortgeschrittenen kapitalistischen ländern die Doppelmacht nicht „außerhalb“ der bestehenden politischen Institutionen entstehen kann.
Die zweite große Diskussion bezieht sich auf die Teilnahme oder Nichtteilnahme von Revolutionären an (bürgerlichen) progressiven Regierungen, die von reformistischen oder sozialliberalen Parteien angeführt werden. Mit dieser Frage verbunden ist die nach den taktischen Wegen, um einen im Wesentlichen hinsichtlich der Wahlen entstandenen Raum zu füllen, der in Sektoren entstanden ist, die unzufrieden mit den traditionellen reformistischen Parteien sind.
Die Bedeutung, die heute der Diskussion hinsichtlich der Taktik einer „Arbeiterregierung“ zukommt, bezieht sich v.a. auf die Frage, welche die niedrigste Schwelle ist, damit eine revolutionäre Organisation an bürgerlichen Regierungsinstitutionen teilnimmt. Bensaïd greift auf die Diskussion zurück, die während der III. Internationale 1921 stattfand anlässlich des Angebots an die KPD, an der Regierung in Sachsen teilzunehmen, in der Sozialdemokraten und Kommunisten die Mehrheit hatten. Laut Bensaïd endete die Diskussion damals uneindeutig. Einige wie z.B.
Zinoviev verwechselten die Arbeiterregierung mit der Diktatur des Proletariats und stellten deshalb für eine Ìbergangsregierung zu weitreichende Forderungen auf. Für den Führer der LCR müssen die Bedingungen, unter denen eine revolutionäre Organisation an einer „Arbeiterregierung“ teilnimmt, sehr viel bescheidener sein.
Diese wären „a) dass die Frage einer solchen Teilnahme sich in einer Krisensituation oder zumindest in Zeiten eines bedeutsamen Anstiegs der sozialen Mobilisierung stellt und nicht in politisch ruhigen Zeiten; b) dass die besagte Regierung darauf besteht, eine Dynamik des Bruches mit der herrschenden Ordnung einzuleiten (viel bescheidener als die geforderte Bewaffnung durch Zinoviev): zum Beispiel eine radikale Agrarreform, „ despotische Eingriffe“ in den Bereich des Privateigentums, die Abschaffung von Steuerprivilegien, den Bruch mit den Institutionen der V. Republik in Frankreich, den europäischen Verträgen, den Militärpakts etc.); c) und schließlich dass das Kräfteverhältnis es den Revolutionären erlaubt, wenn nicht die Erfüllung der politischen Verpflichtungen zu garantieren, so doch zumindest einen hohen Preis zahlen zu lassen bei möglicher Nichterfüllung.[xxxi]
Statt der Diskussion, die von der III. Internationale aufgeworfen wurde, einen aktuellen Inhalt zu verleihen, scheinen diese Grundlagen der LCR lediglich die Politik der Kapitulation angesichts der Regierung Lulas und die Anpassung an die Regierung Chávez, die heute so gut wie der gesamten Linken zueigen ist, zu rechtfertigen. Die Debatte in der III. Internationalen endete schließlich mit der Losung der „Arbeiterregierung“ als logische Schlussfolgerung aus der Taktik der Einheitsfront. Bei letzterer handelte es sich um eine der zentralen Debatten, die mit dem Problem der relativen Marginalisierung der westlichen kommunistischen Parteien bezogen auf die Massen übereinstimmte, und dies in einer Situation, in der revolutionäre Bewegungen zurückgegangen waren.
In seinem „Bericht über den Vierten Kongress der IC“, während des X. Kongresses der Sowjets im Dezember 1922, erklärte Trotzki, dass die Wichtigkeit der Politik einer „Arbeiterregierung“ nicht so sehr in den Möglichkeiten ihrer Umsetzung lag, sondern darin dass sie „ politisch die gesamte Arbeiterklasse allen anderen Klassen entgegensetzt, d.h. allen Gruppierungen der bürgerlichen politischen Welt.“ Deshalb hielt die Kommunistische Internationale folgende Losung für geeignet, um den Dialog mit den Arbeitermassen zu eröffnen: „Sozialistische Arbeiter, Gewerkschaftler, Anarchisten und Arbeiter ohne Partei! Die löhne werden gesenkt, es bleibt immer weniger vom Achtstundentag übrig; die Lebenshaltungskosten sind horrende! Diese Dinge würden nicht passieren, wenn die Arbeiter, trotz ihrer Unterschiede, sich vereinigen und ihre eigene Arbeiterregierung einsetzen würden“. Und hinsichtlich der Beteiligung der deutschen KPD an der „Arbeiterregierung“ in Sachsen empfahl die Führung der III. Internationale Folgendes: „ Wenn ihr, unsere deutschen kommunistischen Genossen, denkt, dass eine Revolution in den kommenden Monaten in Deutschland möglich ist, dann empfehlen wir euch, an der Koalitionsregierung in Sachsen teilzunehmen und eure Ministerialämter dazu einzusetzen, um die politischen und organisatorischen Aufgaben voranzutreiben und Sachsen in den Keim der kommunistischen Bewegung zu verwandeln, so dass wir über eine revolutionäre Bastion in einer Vorbereitungsphase auf den kommenden Ausbruch der Revolution verfügen. Dies wäre nur möglich, wenn der revolutionäre Druck bereits spürbar wäre, nur wenn die Revolution bereits greifbar ist (...). Aber in diesem Moment würdet ihr in Sachsen die bloße Rolle eines Anhangs spielen, die eines Machtlosen, denn die sächsische Regierung selbst ist in Bezug auf Berlin machtlos, und Berlin ist eine bürgerliche Regierung“.[xxxii]
D.h., dass die Losung der „Arbeiterregierung“ eine präzise Bedeutung hatte und es sich um eine Auseinandersetzung handelte, die einigen Sektoren des Proletariats half, sich der Gesamtheit des bürgerlichen Regimes entgegenzusetzen. Dergleichen konnte die Teilnahme an einer reformistischen Arbeiterregierung - im Falle Sachsens lokal begrenzt - nur einen kurzen Ìbergang zu der Organisation der Machtübernahme darstellen. Im gegenteiligen Fall wäre sie nichts anderes als die Arbeiterverwaltung des kapitalistischen Staates. Später, im Ìbergangsprogramm, hat diese Losung zwei konkrete Bedeutungen: einmal die Popularisierung der Diktatur des Proletariats oder eine spezifische Taktik, um die alten, mit der Bourgeoisie verbündeten Führungen zu entlarven, d.h. sie hatte einen unbestreitbar antikapitalistischen und antibürgerlichen Charakter. Offensichtlich hat diese Schlussfolgerung aus der Debatte der III. Internationale nichts mit der Diskussion der LCR in Frankreich zu tun, bei der es um die „lokale Verwaltung“ oder die Teilnahme an lokalen Regierungen geht, mit der einzigen Forderung, dass diese nicht mit der PS geteilt werden. Dabei dient als Modell die Erfahrung des partizipativen Haushalts aus Porto Alegre. Selbst wenn Bensaïd mit dieser Formulierung zuzugeben scheint, dass die Teilnahme von Rossetto von der DS als Agrarminister an der bürgerlichen Regierung Lulas ein politischer Fehler war, geht er nicht darauf ein, dass der „Ministerialismus“ die logische Folge des „Munizipalismus“ ist, d.h., der Verwaltung der Regierung von Porto Alegre als Teil der Linken der PT. Es gab zu keinem Zeitpunkt eine wirkliche Selbstkritik an der opportunistischen Politik, die dazu führte, in die Regierung Lulas einzutreten.[xxxiii]
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