Biometrische Ausweise, Videoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung, Geruchsproben, Tornados gegen linke Demonstranten in Heiligendamm, Einsperrung - auch Minderjähriger - in offene Käfige (wie zuletzt bei der Gegendemonstration des sog. Anti-Islamisierungskongresses von Rechtsextremen in Köln), präventive Festnahmen und Hausdurchsuchungen, massenhafte Inhaftierungen, Nacktscannen, Online-Ìberwachung und Abschiebung von »Terrorverdächtigen« und Ausländern ohne Papiere, Ausweitung der polizeilichen Befugnisse, usw. usf. Diese Maßnahmen und viele andere sind erst der Anfang.
Die bereits praktizierte heimliche Online-Durchsuchung von privaten Computern via Internet ohne jeglichen Straftatverdacht, die geplante längerfristige Zwangsspeicherung von Telekommunikationsdaten aller Nutzer auf Vorrat um sie für Sicherheitsbehörden zugänglich zu machen oder die Einrichtung von Referenzdateien mit biometrischen Daten und deren Nutzung für Zwecke der »Kriminalitätsbekämpfung und Prävention« bedeuten eine erkennungsdienstliche Erfassung der gesamten Bevölkerung auf Vorrat. Die Repression, die sich zur Zeit vor allem gegen linke AktivistInnen und MigrantInnen richtet, zielt auf die präventive Einschüchterung und Abschreckung großer Teile der Bevölkerung. Präventiv, weil angesichts der sich verschärfenden sozialen Lage sich immer breiter werdende Teile der Bevölkerung gegen ihr „Schicksal“ in Bewegung setzen werden.
Die von den bürgerlichen Medien bereitwillig aufgegriffenen Argumente der Schilys, Becksteins und Schäubles dienen aktuell der Legitimation eben dieser repressiven Maßnahmen. Dabei wird der lange umstrittene Paragraph -§129a des Strafgesetzbuches »Bildung einer terroristischen Vereinigung« ausgeweitet und neu definiert. Demnach ist eine »terroristische Vereinigung« ein Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bestimmte schwere Straftaten verüben, um ein gemeinsames politisches Ziel zu erreichen. Der Paragraph diente seit seiner Einführung im Jahr 1976 weniger der Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung als der Ausforschung, Kriminalisierung und Verfolgung von dem deutschen Staat unliebsamen Gruppierungen und Bewegungen.[1]
Nach dem 11.September 2001 wurde unter der rot-grünen Bundesregierung die Reichweite dieses Paragraphen verschärft - unter dem Deckmantel des Kampfes gegen »Die Gefahr des islamischen Terrorismus«. Heute werden unter dem Vorwand der »Terrorismusbekämpfung im Ausland« die Auslandseinsätze der Bundeswehr im Nahen Osten legitimiert. Es wird ein Klima der Angst erzeugt, um die Bevölkerung wird auf den Truppeneinsatz im Innern vorzubereiten.
Die Kommandos der Bundeswehr im Ausland verfolgen jedoch imperialistische Interessen; Zugang zu Märkten und Rohstoffen der Region sowie eine allmähliche Ausdehnung der Einflusssphäre der deutschen Bourgeoisie auf ihr bis vor kurzem verwehrte Zonen der Welt. Der Militarisierungsgrad (nach innen und außen) des deutschen Staates ist einerseits Ausdruck der Notwendigkeit der deutschen Bourgeoisie, ihre Rolle auf weltpolitischem Terrain entsprechend ihrer wachsenden wirtschaftlichen Stärke zu spielen; andererseits zeigt sich hierin die Absicht, angesichts der aufkommenden Verschärfung des Klassenkampfes im Inland präventiv zu handeln. Wie so oft in der Geschichte der Bourgeoisie bedient sie sich ihrer Verfassung, d.h. des Grundgesetzes, sowie neuen und alten Zensur- und Kontrollmechanismen wie des §129a, weitet diese ganz nach Bedarf aus oder schränkt sie ein. Heute geschieht dies aufgrund einer diffusen und permanent proklamierten angeblichen Bedrohung, welche eine willkommene Legitimation für Verfassungs- und Gesetzesänderungen liefert.
Aktuelle Repressionsmaßnahmen
In diesem Sinne nutzte Innenminister Schäuble (CDU) die heraufbeschworene Sicherheitshysterie, um im Kontext des »G8-Gipfels« vehement eine erneute Ausweitung der Rechte von Polizei und Geheimdiensten zu fordern. Dabei soll auch der Paragraph 129a um zusätzliche Straftatbestände erweitert werden: Auch Einzeltäter oder die pure Sympathieerklärung für eine Gruppe (z.B. durch regelmäßiges Zugreifen auf deren Internetpräsenz) sollen in Zukunft mit dem Instrumentarium des Terrorparagraphen verfolgt werden können.
Stellvertretend für die Interessen der Bourgeoisie setzen Schäuble und das Bundeskriminalamt damit einen Prozess fort, der die demokratischen Grundrechte in Deutschland substantiell untergräbt: Durch die Vermischung von innerer und äußerer Sicherheit wird eine bedrohliche Lage herbeigezaubert, deren juristische Konsequenz die Anpassung der rechtsstaatlichen Mittel ist. Denn »die Bekämpfung des internationalen Terrorismus [ist] mit den klassischen Mitteln der Polizei jedenfalls nicht zu meistern«. Den Handlangern der Bourgeoisieinteressen im Parlament stellt sich die Frage, »ob unser Rechtsstaat ausreicht, um den neuen Bedrohungen zu begegnen«. Ihre »Sorgen« entbehren jedoch jeglicher Grundlage, denn, wie Schäuble es zutreffend formulierte, die Verfassung, »die man allerdings verändern kann«, definiert den Handlungsrahmen.
Der Antiterrorkampf erfordert neben der Anpassung des Grundgesetzes (um »solche Fragen möglichst präzise verfassungsrechtlich zu klären und Rechtsgrundlagen [zu] schaffen, die uns die nötigen Freiheiten im Kampf gegen den Terrorismus bieten«)[2] auch die uneingeschränkte Verfügbarkeit über die Armee - selbst im Innern. Schon der Sozialdemokrat Otto Schily wie auch jetzt sein Nachfolger Schäuble haben immer wieder dafür plädiert, die Dichotomie von innerer und äußerer Sicherheit aufzuheben. Denn »die alten Kategorien passen nicht mehr. In Afghanistan führen wir keinen klassischen Krieg, aber die internationale Rechtsordnung passt dort auch nicht, deshalb brauchen wir neue Begrifflichkeiten.«[3]
Dabei bereiten sich die demokratischen Vertreter - als Verwalter der Interessen der Bourgeoisie im Parlament - darauf vor, den ganzen Ballast aus rechtlichen Umständlichkeiten, mit denen der Einsatz der Armee im Inland verbunden ist, über Bord zu werfen. Nun streitet die Großkoalition über die Schaffung einer verfassungsrechtlich legitimen Lage, um den Krieg eben auch im Innern weiterzuführen: »Reichen zur Abwehr eines besonders schweren Unglücksfalles polizeiliche Mittel nicht aus, so kann die Bundesregierung den Einsatz der Streitkräfte mit militärischen Mitteln anordnen«, lautet der Kernsatz der geplanten Grundgesetzänderung. Sie wurde nur vorübergehend und aus populistischen Gründen vertagt. Es handelt sich also um die Erweiterung der Notstandgesetze von vor 30 Jahren. Schon damals wurde ein Kampfeinsatz im Innern durch die Verfassung grundsätzlich abgesegnet.[4]
Der Klassencharakter des deutschen Staates
Die »Anti-Terror-Gesetze« der deutschen Regierung stellen eine Präventivmaßnahme gegen gesellschaftlichen Widerstand dar. Wie bereits erwähnt, richtet sie sich bisher gegen linke Avantgardesektoren und MigrantInnen, steht jedoch in einem Gesamtzusammenhang von Verfolgung und Repression, der den Klassencharakter des deutschen Staates offenbart: Der deutsche Staat gründet sich auf die Herrschaft der Bourgeoisie und die Unterdrückung des Proletariats. Dieser Klassencharakter führt zwangsläufig zu Klassenkämpfen. Diese sollen bereits im Keim erstickt werden, indem man wesentliche historisch erkämpfte Rechte immer weiter beschneidet. Das »Anti-Terror-Gesetz« ist Teil einer Offensive, die mit anderen repressiven Gesetzen (vor allem der Beschneidung des Streikrechts) deutlich werden lässt, wie die deutsche Bourgeoisie sich auf härtere Auseinandersetzungen juristisch vorbereitet.
Diese »vorbeugende Offensive« zeigt auch, dass die Bourgeoisie eine sich allmählich anbahnende Politisierung und Radikalisierung großer Teile der Bevölkerung fürchtet: Die Debatten um die Erweiterung des §129a haben - wie auf vielen Gebieten - die Unstimmigkeiten in der Großen Koalition verdeutlicht. Diese Spannungen sind gesamtgesellschaftlich spürbar und sollten ausgenutzt werden. Erstarkende Protestbewegungen, das Aufkommen der LINKEN sowie neue Phasen von Arbeiterkämpfen sind Symptome der sich vertiefenden Krise des Regimes. Dieses reagiert repressiv auf den steigenden Grad der Politisierung der Gesellschaft, um Widerstand im Keim zu ersticken.
Die Aufgaben von Revolutionären
Die repressiven Maßnahmen zur Legitimation der bürgerlichen Herrschaft zielen also auf eine Zerschlagung des gesellschaftlichen Widerstands. Dieser Prozess wird auch durch die im Dienst der Bourgeoisie stehenden Massenmedien vorangetrieben. So soll die Kriminalisierung von Linken hoffähig gemacht und die schon bestehende Kluft zwischen den großen Massen und linken Regimegegnern weiter ausgedehnt werden.
Der Protest gegen den Ìberwachungsstaat ist sehr vielfältig. Er reicht vom bürgerlich-liberalen Lager (wie zum Beispiel den letztjährigen Beiträgen der Zeitschrift »Cicero«) bis zu autonomen Bewegungen, die bisher stark von den Repressionsmaßnahmen betroffen sind.
Zur konsequenten Bekämpfung dieser Herrschaftsmechanismen ist jedoch eine Kapitalismuskritik notwendig, die die Repressionsmaßnahmen als einen Bestandteil der ansteigenden Ausbeutungs- und Unterdrückungsrate ansieht. Der »autoritäre« Sicherheitsstaat der deutschen Bourgeoisie kann nur durch eine Einheitsfront progressiver politischer Bewegungen bekämpft werden. Trotz der teilweise limitierten Vorstellung autonomer Bewegungen von Strategien und Methoden des gesellschaftlichen Umbruchs ist es heute die Aufgabe von Revolutionären, die Notwendigkeit einer Einheitsfront gegen die staatliche Repression und für die Freiheit aller politischen Gefangenen zu propagieren und diese zu formen. Nur in der solidarischen Verbindung der unterdrückten Klassen lässt sich die Offensive der Bourgeoisie aufdecken und bekämpfen.
EINSTELLUNG ALLER VERFAHREN WEGEN »LINKER POLITISCHER DELIKTE«!
WEG MIT DEN ANTI-TERROR-GESETZEN UND -PARAGRAPHEN!
ABSCHAFFUNG DES VERFASSUNGSCHUTZES!
[1] Besonders deutlich wird dies, da bisherige §129a-Verfahren in lediglich sechs Prozent der Fälle mit Verurteilungen endeten. Was nicht heißt, dass die bürgerlichen Gerichte unparteiisch wären, sondern nur, dass diese Verurteilungen einen exemplarischen Charakter haben. Von Bürgerrechtsorganisationen und Anwaltsvereinigungen wurde der
§ 129a deshalb auch als »Ausforschungsparagraph« bezeichnet. Er ermöglicht der Polizei nahezu unbeschränkten Zugriff auf alles und jeden, ohne dass es konkreter Vorwürfe bedarf.
[2] "Es kann uns jederzeit treffen", "Spiegel"-Interview mit Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble am 9.7.2007.
[3] ebd.
[4] Artikel 87a: (4) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen.
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