Das Wahlergebnis vom 27. September erbrachte die von der deutschen Bourgeoisie erhoffte, ideale Konstellation: den Wahlsieg der CDU und FDP. Angela Merkel an der Spitze der neuen Mitte-Rechts-Regierung hat nun freie Hand, Rezepte konservativen Zuschnitts anzuwenden, um die Krise zu überwinden. In dieser Hinsicht fordern bereits jetzt Arbeitgebervertreter und ihre Fürsprecher eine rasche Umsetzung von Maßnahmen wie z.B. die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die Kürzung der Pensionen, indirekte Lohnkürzungen und eine Senkung der Steuern für Unternehmen.
Wie ist der Sieg der Rechten in einem Land zu erklären, in dem man in den letzten Jahren eine deutliche Tendenz nach links beobachten konnte? Wie ist es möglich, dass mitten in der Wirtschaftskrise, die Deutschland hart trifft, und der ihr folgenden Krise des neoliberalen Diskurses (letztere spiegelte sich in der Tatsache, dass eine Fürsprecherin neoliberaler Maßnahmen während des außerordentlichen Gipfels der EU zur Vorbereitung des G20-Gipfels in Pittsburgh darlegte, dass die Einführung einer internationalen Steuer auf Finanztransaktionen eine „vernünftige“ Idee sei) nicht zu einer Abrechnung mit den Parteien der Großen Koalition geführt hat?
Eine oberflächliche Analyse würde die Frage in dieser Weise stellen. Die Frage wäre jedoch falsch gestellt, denn Wahlen sind kein Thermometer, das den Grad der Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit in einem Land zu einem bestimmten Zeitpunkt misst, sondern sie sind in Wirklichkeit der verzerrte Ausdruck des politischen und sozialen Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen einerseits und zwischen den verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse andererseits.
Somit ist es notwendig, eine erschöpfende Analyse vorzunehmen, um die allgemeinen Tendenzen und die Perspektiven herauszuarbeiten, die durch die Wahlen eröffnet werden.
Die vergangenen Wahlen fanden vor dem Hintergrund der schärfsten Wirtschaftskrise seit den 30iger- Jahren statt. Die deutsche Gesellschaft wurde seit der Umsetzung der gegen die Arbeiter gerichteten „Reformen“ der von Schröder angeführten rot-grünen Koalition (Die Grünen und SPD), welche in der von Angela Merkel angeführten Großen Koalition ihre Fortsetzung fanden, in ihren Grundfesten erschüttert.
Seit diesem Zeitpunkt befindet sich das Paradigma eines triumphierenden Kapitalismus, das rheinische Modell, in einer Krise, die sich ständig verschärft und zur Erosion des politischen und institutionellen Rahmens der Bundesrepublik führt. Ausdruck dieses Phänomens ist einerseits die abnehmende Wahlbeteiligung, der Austritt von Mitgliedern und Anhängern der traditionellen Vermittlungsinstitutionen wie Gewerkschaften, der Katholischen Kirche und der Parteien. Andererseits das Auftauchen neuer politischer Phänomene, in erster Linie der Partei Die Linke, aber auch eine Tendenz zur Verstärkung der kleinen Parteien in den Wahlen, die Ausweitung sozialer Proteste, die begleitet werden durch eine erst beginnende, aber unleugbare Tendenz zur Radikalisierung der Kampfmethoden der Arbeiter, welche ihre Antwort auf die beständigen Angriffe auf ihren Lebensstandard und die Errungenschaften der Massen darstellen: Die Kämpfe und Streiks ohne Vorankündigung verschiedener Sektoren der Arbeiterschaft wie der Bahnarbeiter zu Beginn des Jahres 2008, die Abwehrkämpfe im Metallsektor (Mahle Alzenau), die Proteste von Teilen des Kleinbürgertums wie der Milchproduzenten oder der Ärzte, die gewerkschaftlichen Aktionstage, in denen die Avantgarde einen antikapitalistischen Block bildete, die Märsche gegen den Abbau demokratischer Rechte etc.
Ein langsamer Wandel innerhalb des Regimes
Auf der Ebene des Regimes sind in den letzten Jahren Veränderungen zu beobachten, die zu einem endgültigen Zusammenbruch des Zweiparteiensystems geführt haben. An seine Stelle ist ein parlamentarisches System getreten, das zunehmend instabil ist, wodurch die Bildung stabiler Koalitionen erschwert wird. Dies ist auf das Entstehen neuer Vermittlungsinstanzen zurückzuführen, v.a. auf DIE LINKE und andere kleineren Parteien. Somit wird die Bildung neuer Koalitionen immer schwieriger aufgrund der Notwendigkeit, Mehrheitskoalitionen mit immer mehr Parteien zu bilden, die in Abhängigkeit von den erhaltenen Stimmen ihre Forderungen mehr oder weniger geltend machen. Dies ist z.B. im Falle der FDP zu beobachten, die durch ihr gutes Wahlergebnis ermutigt wurde. Der Corriere della Sera fasste dies folgendermaßen zusammen: „Leider hat sich Deutschland italianisiert. Es hat aufgehört, ein grundsätzlich bipolares System zu sein. Statt dessen verfügt es nun über fünf Pole. Damit ist die BRD heute weniger stabil und vorhersehbar“.
Der wirtschaftliche Spielraum
Das Panorama für die kommende Regierung stellt sich als sehr kompliziert dar. Die Unterstützungsmaßnahmen für die Wirtschaft, die die Große Koalition umgesetzt hatte, um die Auswirkungen der Wirtschaftskrise abzuschwächen, haben die öffentlichen Haushalte verschlungen. Die staatliche Verschuldung beläuft sich auf 1.696.823.201.440 Euros, d.h. auf ca. 26.729 Euros pro Bürger (auch Babys, Arbeitslose, Rentner etc.). Laut den Berechnungen des Kanzleramtes (die in einem Bericht von Spiegel Online erschienen sind) muss die neue Regierung somit 40 Mrd. Euros bis zum Ende der Legislaturperiode einsparen. Hierbei handelt es sich um eine Zahl, die die von den „Arbeitgebern“ geforderten Steuersenkungen noch nicht mitberücksichtigt. Aus diesem Grund wird die neue Regierung auf zwei höchst unpopuläre Maßnahmen zurückgreifen müssen, um die Rechnungen der Kapitalisten aufgehen lassen zu können: Kürzung der öffentlichen Ausgaben und Erhöhung der Mehrwertsteuer für die Massen und Senkung der Unternehmenssteuer und der Einkommenssteuer für Kapitalisten und Gutsituierte. Es kündigt sich somit eine Katastrophe für die Arbeiterklasse und die verarmten Sektoren der Gesellschaft an.
Hinzu kommt die Tatsache, dass die neue Regierungskoalition, anders als die Große Koalition, in Zukunft nicht mehr die Unterstützung der Gewerkschaftsführungen genießen wird, die alles taten, um die SPD nicht aus dem Fahrwasser geraten zu lassen. Diesmal wird die Basis jedoch eine schlagendere Antwort ihrer Führungen angesichts der Angriffe, auf die sich die Bourgeoisie vorbereitet, erwarten. Mit anderen Worten, sie werden zur Mobilisierung gezwungen werden, um Druck abzubauen. Der DGB-Chef warnte die CDU bereits, den Forderungen der FDP nicht nachzugeben (als ob die CDU ein Garant für die Interessen der Arbeiter wäre), denn sie werde „eine Politik, die wir für falsch halten, nicht akzeptieren. Und wir können Hunderttausende Menschen mobilisieren und auf die Straße holen“.1
Der Sieg der CDU und FDP
Der Wahlsieg der CDU und FDP hat vor dem Hintergrund einer schwindenden Wahlbeteiligung stattgefunden. Dies ist jedoch nicht auf die „Politikverdrossenheit“ zurückzuführen, wie dies im Allgemeinen die bürgerlichen Parteien, Universitätsprofessoren und „Experten“ in Parteienfragen suggerieren, sondern ist der unbewusste Ausdruck des instinktiven Gefühls der „Wähler“, dass die Entscheidungen nicht wirklich in den Händen der parlamentarischen Vertreter liegen, am wenigsten im Bereich der Wirtschaft. Somit waren die zurückliegenden Wahlen durch einen starken Rückgang der Wahlbeteiligung gekennzeichnet, die von 77,7% im Jahre 2005 auf 71,2% im Jahre 2009 zurückgegangen ist.
Der Wahlsieg ist jedoch in erster Linie das direkte Ergebnis der Wahlniederlage der SPD, der historischen Führung des deutschen Proletariats.
Berücksichtigt man diese Aspekte und die Tatsache, dass auch das Ergebnis der CDU-CSU das zweitschlechteste in ihrer Geschichte ist, relativiert sich der Sieg der Mitte-Rechts-Parteien (Die CSU ihrerseits erreichte lediglich 47% der Stimmen in Bayern, weniger noch als bei den Landtagswahlen 2008, bei denen sie bis dahin stets mehr als 50% der Stimmen erhalten hatte).
Zusätzlich hat die CDU dramatische Umkehrungen der Ergebnisse in den letzten Landtagswahlen im Saarland und in Thüringen erlitten, wo sie zwei absolute Mehrheiten verloren hat, 13 bzw. 12 Prozent jeweils.
Ebenso wie die SPD befindet sich die CDU in einer tiefen Identitätskrise, die dazu geführt hat, dass ihr ca. eine Million Wähler den Rücken gekehrt und für die FDP gestimmt haben, die bis dato im besten Fall 6% der Wählerstimmen auf sich vereinen konnte.
In diesen Wahlen kam die CDU auf 33,8% der Stimmen. Damit liegt sie 2 Prozentpunkte unterhalb des Ergebnisses von 2005.
Seit der Wiedervereinigung hat die CDU 30% ihrer Anhänger verloren. 2005 setzten noch 40% der Bevölkerung Vertrauen in die CDU-CSU, dass sie kompetent sei, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, heute sind es nur noch 29%. Ähnlich wenige Menschen glauben daran, dass sie in der Bildungs- oder Steuerpolitik lösungen finden wird. Dieser Vertrauensverlust schlägt sich in folgenden Zahlen nieder: seit 2002 hat die Union ungeführt 3,8 Millionen Stimmen verloren, d.h. ein Fünftel ihrer Anhänger.
Diese Fakten spiegeln den Meinungsumschwung breiter Sektoren der gehobenen Mittelklasse, die es angesichts des Diskurses der CDU, in welchem vermehrte staatliche Eingriffe in die Wirtschaft und die Verstaatlichung der Banken erörtert wurden, vorzogen, für die FDP zu stimmen, die die Ideale des freien Marktes in ihrer reinsten Form verkörpern. Es handelt sich um einen reaktionären Umschwung dieser Sektoren, die aus Angst, ihre soziale Position und die ihrer Kinder zu verlieren, aus Angst, die Reihen der Prekarisierten aufzufüllen, aus Angst, in die Armut abzurutschen, die Forderung aufstellen, die Kosten der Krise auf dem Rücken der Arbeiter abzuladen.
Das hohe Wahlergebnis der FDP (14,6%) ist der ausschlaggebende Faktor, der es ermöglicht, eine Koalitionsregierung zu bilden, die sich gegen die Arbeiter und für die Unternehmer einsetzt. Es gelang dieser Partei, die Protestwähler der privilegierten Schichten auf sich vereinen, gegen eine „sozialdemokratisierte“ CDU, die während ihrer Regierungszeit an der Seite der SPD ihr neoliberales Programm beiseite ließ und sich an den neuen Zeitgeist, der nach mehr staatlichen Intervention weg von den neoliberalen Forderungen, anpasste. Die FDP gewinnt ihre Kraft aus der CDU, indem sie ihr ihr „politisches Mark“ entzieht. Laut dem Stern eine „gefährliche Krankheit“, den Wahlsieg relativiere. Denn selbst wenn man die Ergebnisse beider Parteien zusammenrechnet, haben CDU und FDP seit 2002 eine Million Wählerstimmen verloren.
Somit wirft der Wahlsieg der Koalition der rechten Mitte viele Fragen auf. Die erste und wichtigste bezieht sich auf die Stabilität der neuen Koalition. Denn die Wirtschaftskrise in Verbindung mit den Wahlversprechen, den unterschiedlichen Visionen, wie diese umzusetzen seien, trennt die Reihen innerhalb der neuen Koalition. Bei zentralen Themen gibt es kaum Ìbereinstimmungen innerhalb der Parteien. Angela Merkel vertritt dabei diejenige Fraktion der Bourgeoisie, die sich des aktuellen Kräfteverhältnisses zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie am bewusstesten ist. Ein frontaler Angriff auf die wenigen Errungenschaften, die noch verbleiben, würde einen sozialen Konflikt erheblichen Ausmaßes hervorrufen, Aus diesem Grund äußerte sich der Präsident des Arbeitnehmerverbandes skeptisch zum Vorschlag der FDP, Hartz IV durch ein Bürgergeld zu ersetzen. „Das Modell der FDP hat aber erhebliche Schwachstellen in der praktischen Umsetzung und wirkt insgesamt unausgereift», sagte Hundt. Die Botschaft lautet: Die heißen Eisen muss man mit Vorsicht anfassen.
Bei dieser Koalition handelt es sich nämlich um eine verspätete Koalition, die vor 4 Jahren hätte gebildet werden müssen, da die neoliberalen Rezepte heutzutage vollständig diskreditiert sind. Aus diesem Grunde hatten die ersten Verlautbarungen Westerwelles nach Bekanntwerden der Wahlergebnisse eher defensiven Charakter: „Wir werden euch nichts tun! Wir werden euch nichts wegnehmen! Es wir nicht kalt mit uns!“2 Denn in weiten Teilen der Bevölkerung besteht die berechtigte Befürchtung, dass jetzt die neoliberale Heckenschere. ansteht. Die Zukunft der FDP ist somit besiegelt. Diese Partei wird aus großer Höhe ins düstere Tal absteigen müssen, denn die die gewaltigen Erwartungen, die sie in den wohlhabenden Teilen der Mittelklasse geweckt hat, wie sie eine nach der anderen nicht einlösen können, prognostiziert der Stern.
Die Grünen
Die Grünen, die in den 80iger Jahren die politische Bühne betraten - 1985 wurde Joschka Fischer Umweltminister in Hessen – haben ihre Wurzeln in denjenigen Sektoren der Mittelklasse, die pazifistisch waren und für ökologische Belange sensibilisiert. Ihre Stimmen kommen aus einigen Teilen der universitären Mittelklasse. Mit sieben Jahren Schröderregierung im Rücken und nach Unterstützung verschiedener kriegerischer Interventionen und Bombardierungen fehlt ihnen vollständig jegliche rebellische oder pazifistische Aura, wodurch sie sich das Vertrauen von Teilen der besser gestellten Mittelklasse sichern können.
Bezogen auf ihre Wählerschaft liegt der einzige augenscheinliche Unterschied zu den Liberalen in dem Umweltbewusstsein ihrer Unterstützer. Somit mag es nicht verwundern, dass sich die Niederlage der SPD nicht nutzen konnten – im Vergleich zu 2005 konnten sie lediglich eine leichte Zunahme verzeichnen, nämlich von 7,9 % auf 10,7%.
Die von der Rezession angeschlagenen Sektoren der Mittelklasse sehen in den Diskursen der Ökoparteien über eine „grüne Wirtschaft“ oder „nachhaltiges ökologisches Wachstum“ eine Alternative, um die Effekte der Krise zu lindern, und gar eine lösung für das von der Krise gebeutelte Land. Die Grünen stellen ein klassenübergreifendes Projekt dar, vollkommen mit dem Kapitalismus vereinbar, da diese Positionen sowohl von Mitte-Links als auch Mitte-Rechts Parteien und Koalitionen vertreten werden.“3 So ist die Koalitionszusage der Grünen zugunsten der CDU und FDP im Saarland nicht weiter verwunderlich.
Glück auf: die Niederlage der SPD
„Der Faden ist gerissen“. Mit diesem beiläufigen Satz fasste ein sozialdemokratisches führendes Parteimitglied das schlechteste Wahlergebnis der SPD in der Nachkriegszeit treffend zusammen. längst ist die SPD nicht mehr das, was sie vor 5 oder 10 Jahren gewesen ist. Ihr Verfallsprozess begann sich mit den gegen die Arbeiter gerichteten Maßnahmen zu beschleunigen. Den Todesstoß versetzte ihr die Fortsetzung dieses Programms unter der Großen Koalition. Weite Teile des Proletariats kehrten der Sozialdemokratie den Rücken und vertieften ihre Krise zusätzlich. Sie erkennen in der Sozialdemokratie den Garanten des bürgerlichen Projektes den „Wohlfahrtsstaat“ abzuschaffen: Rente mit 67, höhere Steuern, Hartz 4 und Agenda 2010 etc.
Die Auswirkungen der Krise sind tiefgreifend und können in der Implosion und Teilung dieser unheilvollen Arbeiterführung enden, die auch auf die Gewerkschaftsführungen, die traditionell mit der Sozialdemokratie verbunden sind, übergreifen könnten.
Um sich eine Vorstellung von der Schnelligkeit und der Tiefe der Krise machen zu können, verweisen wir auf folgende Zahlen: Als die SPD gemeinsam mit den Grünen 1998 an die Macht kam, erhielt die Sozialdemokratie ca. 20 Millionen Stimmen. Zehn Jahre später waren es weniger als 10 Millionen. Ein Verlust von 10 Millionen Stimmen in 10 Jahren! Bei den jetzigen Wahlen gingen mehr als eine halbe Million Stimmen an die FDP, 890.000 an die CDU, 890.000 an die Grünen und 1.220.000 an DIE LINKE4.
Arbeiter und Angestellte stimmten mit lediglich 21% bzw. 24% für die SPD.
Von den Arbeitslosen gaben ihr 22-23% ihre Stimme, von den Jugendlichen, die zum ersten Mal wählten, lediglich 18%. Ca. 2 Millionen sozialdemokratischer Wähler, die 2005 noch an die Urne gingen, zogen es vor, den schönen Herbsttag zu genießen, statt ihre Zeit in der Wahlkabine zu verlieren; 2 Millionen Wähler wollten weder die SPD noch eine andere Partei.
In der Hauptstadt fiel die Unterstützung für die SPD von 34,3 % auf 20,2%.
In den sich in der Depression befindlichen Arbeiterzonen und –vierteln wie Dortmund, Bochum und Duisburg verlor die SPD zwischen 20% und 40% der Stimmen.
Die Antwort der sozialdemokratischen Führung ließ nicht auf sich warten. Um „revolutionäre Tribunale“ oder einen „Linksruck“ zu vermeiden, wovor Peer Steinbrück, der Finanzminister und Vizepräsident, warnte, beschloss die Führung kaum 48 nach der Wahlniederlage und hinter verschlossenen Türen ihr Personal in „putschistischer“ Manier – so bezeichnete ein führender Sozialdemokrat diese Maßnahme – auszuwechseln. Frank Walter Steinmeier, ein erklärter Verteidiger der Agenda 2010, wird neuer Fraktionschef in der Opposition sein. Sigmar Gabriel, der mit den störrischsten Teilen der sozialdemokratischen Rechten, dem Seeheimer Kreis, verbunden ist, wurde zum neuen Parteichef gewählt. Die Vertreterin des linken Flügels der SPD, Andrea Nahles, wurde zur neuen Generalsekretärin ernannt.
Allen Blauäugigen zum Trotz, die glauben, dass dieser Wechsel eine Wendung nach links darstelle, halten die rechten Sektoren die Zügel der Partei weiter in der Hand und die „Linke“ wird dabei zu ihrer Flanke, deren Aufgabe es ist, die Rechte zu legitimieren angesichts einer apathischen und desillusionierten Basis. Dies beweist Folgendes: Bei den Verhandlungen zur Regierungsbildung in Thüringen entschied sich die SPD für ein Zusammengehen mit der CDU statt mit der LINKEN. Der funkelnagelneue Parteichef der SPD, Sigmar Gabriel, verteidigte diese Entscheidung, da eine rot-rote Koalition „schlecht für Thüringen [ist], schlecht für die SPD, die wollen uns vorführen, und deshalb bin ich dagegen“. Andrea Nahles hingegen trat dafür ein, DIE LINKE wie eine normale Partei zu behandeln, wobei sie anführte, dass DIE LINKE ihre Position hinsichtlich einer Regierungsbeteiligung definieren müsse, denn: „Viele von den Linksparteilern wollen gar nicht, dass man an der Regierung beteiligt wird, man könnte ja in Verantwortung kommen, das muss also geklärt werden.“5
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die SPD eine Partei ist, die heute am Boden liegt, ohne jegliche Perspektive. Die Perspektive für die SPD ist entweder eine Implosion durch Teilung oder aber eine langsame Agonie, die sie zur Wiederauflage sozialdemokratischer Rezepte führen könnte. Dabei würde es sich jedoch um eine Farce handeln, da sie nur vorgeben würde, sich nach links zu öffnen, um den Erfolg der LINKEN umzukehren oder zu beschränken.
Das Ergebnis der LINKEN
Die erste Reaktion der Führung der LINKEN war es, sich gegenseitig zu den guten Ergebnissen zu beglückwünschen, zu unterstreichen, dass „die Verluste der SPD für alle beunruhigend seien“ (Oskar Lafontaine), während Gysi, augenscheinlich weniger besorgt, v.a. hoffte, dass die SPD angesichts der Macht der Realität wieder zu ihren Wurzeln zurückfinde, indem sie sich „resozialdemokratisiere“. Im Gegensatz dazu konnte die Basis ihre Freude nicht zurückhalten angesichts der versteinerten Gesichter und dem verallgemeinerten Kummer der Mitglieder und Führer der SPD. Die Basis der LINKEN ebenso wie weite Teile des nicht organisierten Proletariats freut sich zu Recht, dass die Verantwortlichen für die Agenda 2010, die Rente mit 67, die Prekarisierung und die Vernichtung der besten Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung abgestraft werden. Instinktiv scheinen sie auch zu erfassen, dass eine Partei, die sich in der Ära Brandt für die Notstandsgesetze verantwortlich zeigte, die ebenso als Urheberin des Mordes an ihren hervorragendsten Vertretern wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht anzusehen ist, den Krediten zur Finanzierung des imperialistischen Massakers von 1914 zustimmte und die sich (gemeinsam mit den Kommunisten) als vollkommen unfähig erwies, dem Aufstieg Hitlers zu begegnen, nun endgültig untergeht, um auf dem Platz zu landen, der ihr gehört, nämlich den Mülleimer der Geschichte.
Während die Linkspartei (heute DIE LINKE) lediglich 8,7% der Stimmen auf sich vereinigte, erreichte sie bei den Wahlen am 27. September 11,9% und lag damit vor den Grünen.
Bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Schleswig-Holstein und Thüringen, die zeitgleich mit der Bundestagswahl stattfanden, erzielte DIE LINKE ebenfalls sehr gute Ergebnisse.
In Brandenburg ist sie die stärkste politische Kraft mit 28,5% der Stimmen, in Thüringen stellt sie nach der CDU mit 28,8% der Stimmen die zweitstärkste Kraft und liegt damit weit vor der SPD, die lediglich 17,6% erzielte. In Schleswig-Holstein erreichte DIE LINKE 7,9%.
Damit ist DIE LINKE in fast allen Landesparlamenten vertreten und trägt Regierungsverantwortung in einigen Bundesländern, in denen sie gemeinsam mit der SPD die arbeiterfeindlichen Pläne umsetzt, wie im symbolträchtigen Fall Berlins. DIE LINKE kann sich sogar vorstellen, gemeinsam mit der CDU zu regieren, wie der Vizevorsitzende Lothar Bisky verlautbaren ließ: Es könne „Notfälle“ geben, in denen man zusammenarbeiten könne, um „ein oder zwei Dinge zu erreichen“ 6.
Trotz ihrer linken Rhetorik ist DIE LINKE eine bürgerliche Arbeiterpartei7, der es danach verlangt, dem Kapital und seinen parlamentarischen Vertretern zu zeigen, dass sie eine sehr verantwortungsvolle Verwalterin der kapitalistischen Misere sein kann. Somit wird sich DIE LINKE im Lichte (oder besser im Schatten) der Wahlergebnisse weiterhin in Richtung Zentrum (oder in Richtung der Rechten!) bewegen. In dem Maße nämlich, wie sich ihre Wahlergebnisse verbessern, die einer Politik entsprechen, die dazu tendiert, Unterstützung bei Sektoren der Mittelschicht zu suchen, werden sich die progressiven Forderungen der LINKEN immer weiter verwischen: So z.B. die Forderung „Raus aus Afghanistan“, die vervollständigt wurde durch ein „aber nicht sofort“8.
Oder die Forderung nach der Abschaffung der Hartz IV-Gesetze, die während des Wahlkampfes in die Forderung nach ihrer Verbesserung umgewandelt wurde , d.h. in eine „Erhöhung des ALG II Regelsatzes von derzeit 351 auf 500 Euro“. Diese Entscheidung wurde mit folgendem Argument gerechtfertigt: „Wir sind die einzige Partei, die mit realistischen Zahlen arbeitet“ (Lafontaine). Diese Beispiele zeigen, dass der Realismus der Führung schließlich zu einer Mitverwaltung der kapitalistischen Misere führen werden, denn die Zahlen „lügen nicht».
Die andere Seite dieses Realismus zeigt sich in den mehrfachen Angriffen auf die „dissidenten» Sektoren der Partei, die als „Verrückte“ bezeichnet wurden, mit dem Ziel, sie auszuschließen, damit sie den wahrscheinlichen Zustrom derjenigen Sektoren der Bevölkerung nicht stören, die noch keine Erfahrung mit der LINKEN gemacht haben und somit noch Illusionen hegen, dass innerhalb der herrschenden kapitalistischen Produktionsverhältnisse eine spürbare Verbesserung ihrer Lebensbedingungen erfolgen kann.
Viele Teile der Gesellschaft, die für DIE LINKE stimmten, glauben tatsächlich, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen im Wirtschaftsbereich, die darauf abzielen, den Kapitalismus zu reformieren, ihm im keynesianischen Sinne zu regulieren, eine erhöhte staatliche Beteiligung an wirtschaftlichen Entscheidungen sowie eine Stimulierung des internen Konsums zu erreichen, den „Wohlfahrtsstaat“ wiedererstehen lassen können. Hierbei handelt es sich somit um die Hoffnungen auf die Wiederbelebung einer für das Proletariat schädlichen sozialdemokratischen Politik der Interessengemeinschaft.
Diese Denkstruktur birgt jedoch objektive Beschränkungen, denn der Aufstieg der Sozialdemokratie erfolgte während der Nachkriegszeit in einer Epoche nachhaltigen wirtschaftlichen Wachstums nach der allgemeinen Zerstörung der Produktivkräfte als Folge des Krieges, das viele Konzessionen an das Proletariat nur deshalb ermöglichte, weil das deutsche Kapital zwei Jahrzehnte lang steigende Profitraten erzielte. Heutzutage sind diese Bedingungen nicht mehr möglich. Der Kapitalismus befindet sich in einer Krise, die Profitrate sinkt und die Kapitalisten versuchen diese Situation durch die direkte oder indirekte Senkung der löhne umzukehren. Zusätzlich wird der Produktionsrhythmus erhöht, Massenentlassungen werden vorgenommen, kurzum die Last des so genannten „Wohlfahrtsstaates“ wird abgeworfen.
Wie soll weiter vorgegangen werden?
Vor dem Hintergrund der Wahlergebnisse, des Ausblutens der großen Parteien und der (vorübergehenden) Konsolidierung der ehemals kleinen Parteien wie der LINKEN werden sich die Regeln des parlamentarischen Spiels verändern. So stellte sich z.B. die unternehmerfreundliche Zeitung FAZ die Frage, ob in Deutschland womöglich bald holländische Verhältnisse drohten: „Parlamente voller Populisten und chronisch labile Regierungen?“9 Denn die herrschende Klasse wird es zunehmend schwer haben, ihre arbeiterfeindlichen Maßnahmen in Form eines Konsenses umzusetzen.
Diese Situation muss von revolutionären Sektoren offensiv genutzt werden. D.h. die Risse in der Führung müssen genutzt werden, damit die Arbeiterklasse mit ihren wirtschaftlichen und politischen Forderungen nach vorne preschen kann. Heutzutage besteht die vornehmliche Aufgabe darin, ein Notprogramm aufzustellen, dass die sich ankündigende Entlassungswelle bekämpft, für die Verteidigung des Arbeitsplatzes und gegen die Pläne zur Prekarisierung kämpft (Siehe Leitartikel).
Fußnoten
1 DGB-Chef droht Schwarz-Gelb mit Massenprotest, Spiegel Online, 04.10.2009.
2 Die Welt, 29 September 2009.
3 „Eine erste Bilanz der Europawahlen“: IK Nr.3.
4 Laut Tageschau.de
5 http://www.nrw-live.com/
6 Bisky schließt Koalition mit CDU auf Landesebene nicht aus.
http://www.linkspartei-sachsen.de/blog/2008/07/22/bisky-schliesst-koalition-mit-cdu-auf-landesebene-nicht-aus/
7 Vgl. folgenden Artikel: «Alter Staub in neuen Tüten». http://www.ft-ci.org/article.php3?id_article=1904?lang=de
8Vgl. folgenden Artiklel: «BUNDESWEHR IN AFGHANISTAN: KRIEGSVERBRECHEN IM NAMEN VON DEMOKRATIE UND FREIHEIT!» in dieser Ausgabe des Internationalen Klassenkampfes.
9 FAZ: Zerrissen in die Opposition, 28.09.2009.
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