Was viele, wie zum Beispiel autonome, Analyen von Zanon nicht zu erklären vermögen, ist warum Zanon ein absoluter Einzelfall hinsichtlich des Klassenbewusstseins und der Organisation ist – und das in einem Land, das angesichts des kapitalistischen Debakels von 2001 mehr als 200 Unternehmen unter Eigenverwaltung „ohne Chefs“ vorzuweisen hatte. Der Grund dafür ist die Rolle, die die PTS (Partido de los Trabajadores Socialistas), die argentinische „Partei der Sozialistischen ArbeiterInnen“ (Mitglied der internationalen Strömung “Trotzkistische Fraktion - IV. Internationale”) in diesem einzigartigen Prozess
spielte.
Die Verschmelzung des Marxismus mit der ArbeiterInnenavantgarde
Das erste, von dem Raul Godoy die mit ihm gewählten Mitglieder des Betriebsrates im Oktober 1998 überzeugen musste, war die Notwendigkeit eines Programms und eines klaren politischen Ziels. Alles wurde ab dann in Vollversammlungen beschlossen und sowohl Festangestellte als auch LeiharbeiterInnen wurden einbezogen; FunktionärInnen waren der Vollversammlungen rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar.
Die erste große Herausforderung und der erste Etappensieg war der 9tägige Streik im Juli 2000.
Die kriselnde Unternehmensführung wollte die
Belegschaft verkleinern, was die Wahl zwischen
Entlassungen, Suspendierungen und einem Streit
um Entschädigungen (wie wir heute in den USA
und Europa angesichts von Werkschließungen
sehen) oder eben einem harten Kampf ließ. „Die
Geschäftsbücher sollen geöffnet werden, die die
Millionen aufzeigen , die in den letzten Jahren
verdient wurden!“ – dies war die Forderung der
ArbeiterInnen und der letztendlich erfolgreiche
Streik wurde damit vorbereitet.
„Unter unseren KollegInnen mussten wir den
übertriebenen Respekt gegenüber dem Gesetz
bekämpfen (...) das war eine lange Diskussion, denn
die Gewerkschaftsbürokratien erziehen uns darin,
dass die Gesetze der AusbeuterInnen anzuerkennen
seien (...) doch die KollegInnen überzeugten sich
in der Diskussion und der Aktion davon, dass der
Schlüssel nicht in irgendwelchen Papieren sondern
im Kräfteverhältnis zwischen den Klassen liegt. Wir
sind über viele der Vorurteile, die uns die Bourgeoisie
vermittelt – wie das Nicht-Infragestellen ihres Privateigentums,
ihrer Gesetze und ihrer Institutionen – hinweggekommen. Eine revolutionäre Partei muss
eben diese Vorurteile bekämpfen und aufzeigen,
dass der Klassenkampf (wie es die Geschichte der
internationalen ArbeiterInnenbewegung zeigt)
nicht vor einem Einspruch oder einem Formular halt
macht, sondern aufgrund der auf den Schlachtfeldern
wirklich vertretenen Kräften einzuschätzen ist.
Diese Punkte sind nicht direkt aus der Spontaneität
der ArbeiterInnen, sondern durch ihre klassenbewusste
Führung entstanden. Denn Klassenkampf
bedeutet nicht nur ArbeiterInnen gegen UnternehmerInnen,
sondern auch gegen die KapitalistInnenklasse
und ihren Staat sowie ihre Institutionen; es ist
somit auch ein politischer Kampf.“
Unter den Ideen, die wir zum Kampf in Zanon
beigetragen haben, können folgende hervorgehoben
werden. In erster Linie war es die Suche
nach einer Allianz zwischen ArbeiterInnen und
anderen unterdrückten Sektoren, die vielfältige
Ausformungen annahm: von einem Abkommen
mit den indigenen Gemeinschaften der Mapuche,
über die Einheit zwischen ArbeiterInnen und
Studierenden bis hin zu einem Pakt zwischen
einer Universität und der Fabrik (basierend auf
Erfahrungen der bolivianischen TrotzkistInnen),
der dazu führte, dass die Universität von Comahuean
bei der Produktionsplanung in Zanon
mitarbeitete.
Weitere zentrale Impulse waren die Forderung
„Zanon gehört dem Volk“ (nicht nur im Sinne
aller ArbeiterInnen, sondern auch im Sinne der
Produktion für ein gesamtgesellschaftliches
Interesse und der Unterstützung von öffentlichen
Bauvorhaben), die permanenten Vorschläge für
Einheitsfronten mit den Gewerkschaften, die
Durchführung mehrerer landesweiter Treffen mit
anderen „zurückeroberten Fabriken“ (fabricas recuperadas),
von denen viele die Forderung nach
Produktion unter ArbeiterInnenkontrolle nicht
teilten und genossenschaftliche Modelle der im
System eingegliederten Kooperativen bevorzugten;
woraus eine weiterer Aufruf in den Zeiten,
die Raul Godoy prägte, entstand: „Wenn sie einen
angreifen, greifen sie uns alle an!“ Am meisten wurde diese Brüder/schwesterschaft mit der Textilfabrik Brukman in Buenos Aires gepflegt, wo die PTS ebenfalls eine einflussreiche Führungsrolle
übernehmen konnte.
Der notwendige Zusammenschluss von ArbeiterInnen
und anderen Sektoren, wie zum
Beispiel der Madres de la Plaza de Mayo (NGO der
Angehörigen der in der argentinischen Militärdiktatur
Ermordeten) war sowohl für den Kampf
als auch den Verkauf der Kacheln sehr wichtig.
Besonders wichtig war die Verbindung mit den
kämpferischen Sektoren der Arbeitslosenbewegung
(Movimiento de Trabajdores Desocupados,
MTD). Nach Vorschlag der PTS gliederten sich
auch Dutzende der piqueteros (Arbeitslose, die
mit Straßenbarrikaden protestieren) aus der
Region in die Arbeit von Zanon ein; auch wenn
sie AnhängerInnen von politischen Konkurrenten
der PTS waren, so unterstützten sie die Zanon-
ArbeiterInnen und auch wir standen vollkommen
hinter ihnen. Auch hier zeigt sich, dass Zanon ein
untypisches Beispiel von „zurückeroberten“, also
besetzten Unternehmen ist.
Die Perspektiven der Selbstverwaltung der ArbeiterInnen
aufzuzeigen (was wir TrotzkistInnen eine
„sowjetische“ Strategie nennen) und die Grenzen
des Gewerkschaftskorporatismus zu durchbrechen,
sind zentrale Aufgaben von allen, die sich
RevolutionärInnen nennen.
Der Einfluss der PTS war jedoch nicht nur auf
ideeller Ebene sichtbar: wir haben auch sofort die
regionale Gruppe der PTS in Neuquen verstärkt,
nachdem Raul in den Betriebsrat gewählt wurde.
Unter ihnen befand sich ein junger Anwalt,
Mariano Pedrero, der ab dann zum „Keramikanwalt“
wurde und unter anderem die neue
Gewerkschaftssatzung mitentwickelte, indem
er sich auf historische Erfahrungen wie die der
UGT Spaniens der 30er Jahre oder die der CGT
Perus unter Mitwirkung des Marxisten Mariategui
stützte. Diese Satzung ist mit seinem klassenkämpferischen
Charakter eine völlige Neuheit in den seit 60 Jahren vom Peronismus kontrollierten Gewerkschaften Argentiniens, in denen
bisher niemals (nicht einmal linke Sektoren oder
TrotzkistInnen) die bürokratisierten und probürgerlichen
Statute, die das gewerkschaftliche
Leben regieren, geändert wurden. Doch auch zu
der selbstverwalteten Produktion trugen wir bei:
Unser Genosse Carlos Saavedra (gennant: Manotas)
war der erste Produktionsleiter. Die Gruppe
der KermaikarbeiterInnen der PTS hat immer eine
wichtige Rolle auf „beiden Beinen“ (wie sie zu
sagen pflegen) gespielt: Das politische und das
produktive Bein. Die politische Unabhängigkeit
ist eine wichtige Idee, die die PTS der fortschrittlichen
Avantgarde der KeramikarbeiterInnen
übergeben konnte – diese ist selbst für antibürokratischen
Strömungen in den Gewerkschaften
keine Selbstverständlichkeit.
Es waren Jahre der ununterbrochenen politischen
Arbeit und Hingabe im Kampf für ein klares
revolutionäres Programm und eine Strategie,
die auf dem Marxismus fußt. Dieses Programm
wurde stetig im Alltag diskutiert und im täglichen
Kampf auf die Probe gestellt. Doch für revolutionäre
MarxistInnen gibt es nichts Beeindruckenderes
als diesen Moment, als das revolutionäre
Programm schließlich eins wird mit der Realität
und durch die ArbeiterInnenklasse aufgenommen
wird.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die
PTS in der Begleitung der ArbeiterInnen von Zanon
bei diesen Erfahrungen stets ihre höchste Priorität
sah. Zanon ermöglicht uns, die Bedeutung
des Programms und der Strategie des revolutionären
Marxismus aufzuzeigen, gerade in objektiv
so schwierigen Zeiten der Massenentlassungen.
Der Schlüssel zum Erfolg und die jetzige Moral der
Zanon-ArbeiterInnen kommt aus ihrer wahrhaft
und unverfälscht revolutionären Führung.
Titin Moreira, PTS Neuquén, 3. November 2009
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