Eines der Ziele der deutschen Kapitalistenklasse ist es, das alte Schema aus Nachkriegszeiten des Interessenausgleichs zwischen Kapital und Arbeit hinter sich zu lassen, wofür die auch die Spielregeln mit den Gewerkschaften neu verhandelt werden müssen. „Die großen Automobilfabriken der Endhersteller waren – und sind nach wie vor – die wichtigsten Stätten der gewerkschaftlichen Organisationsmacht und Vorzeigebetriebe der Durchsetzungsfähigkeit der betrieblichen Mitbestimmung, die dort vorherrschenden Arbeitsbeziehungen haben dir Wahrnehmung des deutschen Systems der industriellen Beziehungen entscheidend geprägt und die vor allem dort ausgehandelten und erkämpften Arbeitsstandards hatten eine unbestrittene Vorreiterfunktion für die anderen Branchen und Segmente der deutschen Wirtschaft.“ (Haipter 2009: 48) Mit anderen Worten galt die Metallindustrie und vor allem die Automobilindustrie als das Beispiel für weite Teile des gewerkschaftlich organisierten und auch nicht organisierten Proletariats. Die Abkommen im Automobilsektor galten lange Zeit als richtungweisend für die Lohn- und Arbeitsbedingungen.
Heute befindet sich jedoch gerade dieses Herzstück der deutschen Ökonomie in einer tiefen Krise. Die Verkaufskrise machte für die Unternehmungsführungen eine Neudefinition ihrer Beziehung zu dem Proletariat der Automobil- und Metallindustrie, das den historisch höchsten Grad an gewerkschaftlicher Organisierung aufweist, notwendig. Somit existiert die Beispielsfunktion dieses Sektors für andere Branchen der verarbeitenden Industrie nicht mehr. Gerade hier waren, obgleich der vielen Tinte die vor allem in den 90er Jahren von Industrie und Gewerkschaften auf unzähligen Verhandlungspapieren über die Bedingungen in der Automobilbranche floss, wurden große Entlassungswellen durchgeführt, obwohl die ArbeiterInnen harte Zugeständnisse wie die Flexibilisierung der Arbeitszeit und Lohnkürzungen machten.
So sehen wir auch Tendenzen im Abbau des Systems der Tarifeinheit, da die Anstellung von LeiharbeiterInnen (im Automobilsektor etwa 7,5% bei 60.000 ArbeiterInnen) als Druckmittel auf die löhne genutzt wird, was als Druckmittel gegen die Festangestellten und ihre gewerkschaftlichen Vertreter viel effektiver wirkt als die betriebliche Mitbestimmung. Das Konfliktlösungs-Modell entstanden im Nachkriegsboom erweist sich heute somit als völlig uneffektiv für die Interessen des Kapitals. Immer mehr Unternehmen kleiden sich sogar mit ausländischen Rechtsformen, um die betriebliche Mitbestimmung, die vor allem auf Grundlage des Betriebsverfassungsgesetztes von Betriebsräten eingefordert werden könnten. So ist es beispielsweise bei der Großunternehmen wie der Fluggesellschaft Air Berlin PLC & Co. KG, der Drogeriekette Müller Ltd. & Co. KG, dem Logistikunternehmen Dachser GmbH (Österreich) & Co. KG oder der Großdruckerei Prinovis Ltd. & Co. KG[1] der Fall.
Die Konsequenz dieser neuen Umwege von Unternehmen unter Vermeidung von zentralen Auseinandersetzungen sondern vielmehr der Wahl verschiedener dezentraler Druckmechanismen, hat die Qualität der Gewerkschaften als Vermittlungsinstanz geschwächt, die sich höchstens auf den Erhalt der aktuellen Errungenschaften beziehen und weder den Kampf um Arbeitsplätze, geschweige denn löhnen zur Aufgabe nehmen. „Kräftepolitisch hängt diese Veränderung wesentlich mit dem Bedeutungsgewinn großer Industrie und Dienstleistungskonzerne als unmittelbarer (anstatt über Arbeitgeber vermittelter) Akteure im System der industriellen Beziehungen zusammen, aber auch mit der Umorientierung des Staates als Arbeitgeber.“ (Lehndorff, 2009:33). Einer der deutlichsten Indikatoren hierfür ist die immer voranschreitende Absage an Vereinbarungen aus der Tarifeinheit, während immer mehr sektorielle und auch innerhalb eines selben Unternehmens verschiedene Lohnentgeldtarife angewandt werden. Heute arbeitet nur noch jeder zweite Lohnabhängige in Unternehmen mit Bindung an die Tarifeinheit, während es 1996 noch 67% waren. In Ostdeutschland ist die Lage mit nur 38% tarifgebundenen Anstellungen weitaus schlechter.
Die Konsequenzen der Arbeitsmarktpolitik, der Angriffe auf die Arbeit und der harten Gegenreformen seit Schröder sind katastrophal: Seit einem Jahrzehnt sinkt der Reallohn, ein großer Sektor an präkarisierten Arbeit sowie Billiglohnjobs sind entstanden. Die Flexibilisierungsmaßnahmen durch die rot-grünen Koalition unter Schröder haben weiterhin zu einem „Paradigmenwechsel im deutschen Arbeitslosenregime“ ((Lehndorff, 2009:36) geführt, dass die Lohnabhängigen dazu zwingt zu löhnen von unter 30% ihrer eigentlichen Qualifikationen zu arbeiten und eine Generalisierung von unterbezahlter Arbeit vorantreibt.
Zusammenfassend wird deutlich, dass mit der Neuorganisierung der Produktionsketten und der internationalen Arbeitsteilung in den 80er Jahren und der Krise der deutschen Automobilindustrie nach dem Mauerfall durch die aufgestiegene japanische Konkurrenz sich diese aktuelle Krise nicht durch eine neue „Sozialpartnerschaft“ sondern nur durch Klassenkrieg zu einer lösung kommen wird.
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