Was sind die Reaktionen auf die angekündigten Maßnahmen der Regierung?
Es gab viele Streiks und auch Aufrufe von Gewerkschaften für einen Generalstreik, hauptsächlich im öffentlichen Sektor, weil dieser am stärksten angegriffen wird. Die Politik der Gewerkschaftsführungen hat die Kämpfe und Mobilisierungen zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor gespalten. Aber nun sind die Sparmaßnahmen gegen alle ArbeiterInnen gerichtet, gegen die gesamte ArbeiterInnenklasse, und das hat das Klima für den Generalstreik erzeugt, den wir jetzt erleben. Einige Medien schätzten, dass zwischen 300.000 und 500.000 Menschen heute demonstrierten. Ich glaube, dass sind die grössten Mobilisierungen in diesem Land, die wir in den letzten 35 Jahren gesehen haben. Mein Eindruck ist, dass in diesem sozialen Klima noch mehr möglich ist, und eine immer grössere Zahl von Menschen fragt sich, wie der Kampf an den Arbeitsplätzen weitergeführt werden kann.
Wie ist die Situation unter den Jugendlichen?
Ich glaube, die Situation der Jugendlichen kann sehr explosiv werden, vergleichbar der Situation im Dezember 2008 [als die Polizei den 15jährigen Alexis Grigoropoulos ermordete], vielleicht sogar noch schärfer. Obgleich an den Universitäten Prüfungen stattfinden, ist es schwierig vorherzusagen, wie die jungen Menschen reagieren werden, aber ich glaube, dass die generelle Situation sehr explosiv werden kann. Da sind auch viele junge Menschen, ArbeiterInnen, die nicht vom "Wohlfahrtsstaat" profitieren und die sehr gewillt sind, sich den Angriffen der Bosse und des Polizeiapparates zu widersetzen.
Was geschah am 5. Mai, dem Tag des Generalstreiks?
Die Ministerien und die zentralen öffentlichen Ämter waren komplett gelähmt. Das Gleiche geschah in den grossen Industrien. An Stellen, wo die ArbeiterInnenklasse weniger organisiert ist, war die Teilname am Streik etwas schwächer, aber die Stimmung dort war besser als sonst. Die Mobilisierungen sind massiv, und sie sind nicht von den Gewerkschaften organisiert. Verglichen mit den Streiks am 24. Februar und 11. März sind sie viel grösser und entwickelter. In einigen Vierteln organisierten sich die EinwohnerInnen, um an der Demonstrationen teilzunehmen und sich den harten Angriffen der UnternehmerInnen zu stellen.
Was war die Rolle und die Politik der Gewerkschaften?
Bevor ich darauf antworte, müssen wir etwas klarstellen. Gewerkschaften in Griechenland sind nicht sehr gross; sie spielen keine zentrale Rolle in der Art, wie sich der Klassenkampf in diesem Land ausdrückt. Da ist eine viel politisiertere Tradition, das muss man betonen. Der zweite Punkt ist, dass die Gewerkschaftsbürokratie nicht sehr tief verankert ist; es gibt keine Tradition starker und machtvoller Gewerkschaften wie der DGB in Deutschland oder die Gewerkschaften in Frankreich. In Griechenland sind die Gewerkschaften schwächer und es existiert eine stärkere Opposition linker Kräfte innerhalb der Gewerkschaften. Das ist der Grund, warum ein gewisses Maß von innerer Demokratie in den griechischen Gewerkschaften bewahrt werden konnte. Die Gewerkschaftsführungen, besonders in den grossen Transport- und Telekommunikationsgewerkschaften und im öffentlichen Sektor, werden [von der Gewerkschaftsfraktion] der PASOK kontrolliert. Zu Beginn der Krise, handelte der Präsident des Gewerkschaftsbundes griechischer ArbeiterInnen (GSEE), der den privaten Sektor vertritt, mehr als Regierungsvertreter denn als Gewerkschafter. Zum Beispiel als die ersten Kürzungen im öffentlichen Sektor bekannt wurden, rief die GSEE nicht zu einem Generalstreik auf. Sie sagten, es war ein Angriff auf den öffentlichen Sektor und der private Sektor würden sich nicht sehr von dem „Engerschnallen des Gürtels“ betroffen fühlen. Aber die Führung der Konföderation der Gewerkschaften des öffentlichen Sektors (ADEDY) hatte auch keinen ernsthaften Plan, diese Massnahmen zu bekämpfen. Es gibt einen gewissen Einfluss von linken Strömungen in den Gewerkschaften, in diesem Fall von Synaspismos [einer Partei, die hauptsächlich aus ehemaligen EurokommunistInnen besteht, welche mit anderen linken Organisationen die Koalition SYRIZA bildet], obgleich wir glauben, dass sie hauptsächlich reformistische Politik betreiben.
Kannst du uns sagen, wie die Linke in Griechenland zusammengesetzt ist?
Was wir die griechische reformistische Linke nennen könnten, besteht aus zwei Hauptorganisationen: zum einen die KKE (Kommunistische Partei Griechenlands), die zwar behauptet, sie betreibe Politik für die ArbeiterInnenklasse, jedoch reformistisch ist und versucht, ihre Mobilisierungen, Demos und Aktionen von denen der anderen zu trennen und in Wählerstimmen zu verwandeln mit einer wahlfixierten Politik.
Die andere grosse Organisation ist SYNASPISMOS, die Teil einer breiteren Formation namens SYRIZA ist, an der einige linke Parteien teilnehmen. Sie rufen zwar zu Kämpfen auf, aber in der Realität ist ihre Politik nicht weit von den PASOK-Gewerkschaften. In vielen Gewerkschaften teilen sie sich den Vorsitz mit der PASOK. Sie rufen nicht dazu auf, den Kampf zu verbreitern. Noch wollen sie Losungen gegen die Europäische Union aufstellen, weil sie dafür sind und eine wahlfixierte Orientierung haben.
Welches Programm stellt OKDE in dieser Situation auf ?
Unser Programm, das wir "Notprogramm" nennen, beginnt mit einer Liste von Notforderungen, die die Beseitigung der Sparmaßnahmen und die Ausweitung der Kämpfe bis hin zur Niederlage des IWFs [Internationalen Währungsfonds] und der EU beinhaltet. Diese benehmen sich wie DiktatorInnen über das griechische Volk. Wir versuchen, die Idee der Ausweitung der Kämpfe bis hin zum Sturz der Regierung zu verbreiten und wir kämpfen auch an den Arbeitsplätzen für eine Verstärkung des Widerstandes gegen die Bosse. Wir schlagen die Nationalisierung der Banken vor, ohne Entschädigungen; unsere zentrale Forderung ist die Annullierung der Schulden. Wir sind auch für ein Verbot von Entlassungen... Wir versuchen diese Forderungen an den Arbeitsplätzen und in den Gewerkschaften zu verbreiten, wo wir vertreten sind.
Wir versuchen ebenfalls zu erklären, dass es keinen anderen Ausweg aus der Krise geben kann als der Weg zum Sozialismus. Das erfordert eine Ansammlung und Organisierung politischer Kräfte in einer revolutionären marxistischen Organisation. Und wir versuchen, all diese Aspekte zu verbinden.
Was ist eure Botschaft an die Arbeiter in anderen Teilen der Welt, die dieses lesen ?
Jeder Arbeiter und junge Mensch muss verstehen, dass wir mit dem Bankrott eines Systems konfrontiert sind, dass viele Desaster verursacht hat. Wir müssen für ein Notprogramm im Angesicht der Krise kämpfen, aber wir müssen auch eine Diskussion in der ArbeiterInnenbewegung eröffnen, weil der Kapitalismus in der Krise ist. In Europa ist das klar der Fall. Es kann keine andere lösung geben als einen sozialistischen Ausweg aus der Krise und dieser Sozialismus hat mit Sicherheit nichts mit den Erfahrungen von stalinistischen Regimes und ländern zu tun.
Ìbersetzung: systemcrash
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