Sowohl von Seite der Landesregierungen als auch der Universitätsleitungen wurde im Herbst und Winter – anders als im Juni 2009 – in den meisten Fällen die Taktik angewandt, die DemonstrantInnen mit offenen Armen zu empfangen. Die Regierung versteht die DemonstrantInnen – SchulleiterInnen ebenso, – und ProfessorInnen schwören, dass sie keine Verantwortung für die gegenwärtige Situation tragen. Auch VertreterInnen des Kapitals, wie der Personalchef der Deutschen Telekom, sagten: „Die Studierenden gehen auf die Straße, weil sie sich zu Lernautomaten degradiert fühlen. Ich habe große Sympathie für sie und hätte auch mit demonstriert.“[11] Mit dieser Kampagne versuchten Regierungen und RektorInnen offenbar, den Konflikt zu schwächen, um die Proteste auf die Ebene des Verhandelns in den undemokratischen Universitätsorganen zu verschieben und dort über "Korrekturen" und „Verbesserungen“ zu diskutieren (was ihnen auch vorzüglich gelungen ist).
Dies ist ein Strategiewechsel der herrschenden Klasse: Während die DemonstrantInnen beim Aufkeimen der Proteste im Juni 2009 als “ewig Gestrige” bezeichnet wurden, versuchte man später, den Kampf zu vereinnahmen, die Dynamik zu schwächen und die Studis mit Almosen zu beruhigen. Man versuchte sie zur Räson zu bringen, indem man an ein verantwortungsbewusstes Handeln appellierte. Aber auch wenn viele PolitikerInnen und Medien ihre Sympathie mit den Studierenden bekunden, ist aus bürgerlicher Sicht der Bologna-Prozess[12] unumkehrbar. „Korrekturen sind beschlossen und werden umgesetzt, aber eine Generalrevision wird es nicht geben“, sagte Bildungsministerin Schavan. „Korrekturen“ wie die „Flexibilisierung“ der Regelstudienzeiten (6 bis 8 Semester für den Bachelor)[13], die Verringerung der Anzahl an Prüfungen, und andere kosmetische Veränderungen. Gleichzeitig verlangte man von den protestierenden StudentInnen, doch ihre Proteste niederzulegen, da sie erreicht hätten, was sie wollten.
Das Ziel dieser widersprüchlichen Signale ist die Integration der Proteste in das kapitalistische System: selbst die zartesten Versuche, dem Bildungsstreik eine antikapitalistische Stoßrichtung zu geben, könnten in der momentanen Wirtschaftskrise zu einem Auslöser für weitere soziale Proteste werden – darum können es die Herrschenden nicht zulassen, dass sich die Bildungsstreikbewegung radikalisiert und müssen Widersprüche gegen das Bildungssystem als Ganzes und seine Funktion im kapitalistischen System unterdrücken; das alles jedoch, ohne die Proteste komplett zu ersticken – denn einerseits sehen selbst viele KapitalistInnen, dass die Ausgestaltung des Bachelor-/Master-Systems ihren Interessen eher schadet als nutzt, und andererseits braucht "[d]as Kapital [...] ein bisschen von diesem jugendlich-rebellischen Geist, um eine Elite von kreativen ErfinderInnen und dynamischen ManagerInnen zu bilden." Denn es ist "unheimlich schwierig, Blumen des kreativen Schaffens im Sumpf von Prime-Time-Fernsehen wachsen zu lassen. Kreativität entstammt in der Regel den Protestbewegungen – den großen gesellschaftlichen Umbrüchen."[14]
Von diesem fundamentalen Widerspruch ist die Antwort der herrschenden Klasse und ihrer Medien auf die Bildungsproteste geprägt – doch wie wir oben exemplarisch gesehen haben, fällt die Bildungsstreikbewegung momentan sogar auf diese Antwort herein, und wo sie es nicht tut, wird dennoch bisher kein großer Druck aufgebaut, die Proteste in eine andere Richtung zu bewegen.
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