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Naher Osten: Unsere verlässlichen Diktatoren
von : FT-CI Deutschland

19 Jan 2011 | Kommentar

Die Ansteckung am tunesischen Aufstand ist keine Gefahr mehr für die arabische Welt, sie ist bereits real. Selbstverbrennungen nach dem Vorbild des Tunesiers Mohamed Bouazizi sind grausame Beweise, dass sich Verzweifelte in Algerien, Ägypten und Mauretanien von den Fernsehbildern aus Tunesien inspirieren lassen. Arabische Oppositionsführer jeder Couleur haben schon ausdrücklich auf die Ermutigung durch die vermeintlich erfolgreiche Revolution in Tunesien Bezug genommen.

Furcht geht nicht nur um unter den Diktatoren und ihren Schergen in der Region, sondern auch unter ihren westlichen Unterstützern. Tunesiens Ex-Präsident Zine El Abidine Ben Ali war bis zum Tag seiner plötzlichen Ausreise ein Freund und Verbündeter insbesondere der französischen Regierung, aber auch der deutschen und der britischen.
Menschenrechtsfragen spielten in diesem engen Verhältnis eine vernachlässigbare Nebenrolle - wie überhaupt bei der Entwicklungs- oder Militärzusammenarbeit westlicher Geber- und arabischer Nehmerländer. Bei Ben Ali gaben sich die Europäer stets mit dem Standardverweis auf eine angebliche Politik der "langsamen Öffnung" zufrieden.
Diese Politik der bedingungslosen Unterstützung von Diktaturen ist ein Eckpfeiler der europäischen und amerikanischen Außenpolitik im Nahen Osten. Die Herrscher sind hiesigen Politikern vielleicht unsympathisch, gelten aber als alternativlos. Denn vor den Menschenrechten und demokratischen Reformen - die etwa als Ziel der Mittelmeerpartnerschaft ausdrücklich festgehalten sind - stehen in der westlichen Prioritätenliste die regionale Stabilität sowie die Eindämmung von islamistischem Fundamentalismus und Israelfeindlichkeit.
Wenn unser Ben Ali gestürzt ist, so nun die Befürchtung, könnten auch die anderen autokratischen Stützen des Westens in der Region fallen wie Dominosteine. Viel wichtiger als Tunesien sind für die Stabilität im Nahen Osten Ägypten, das bevölkerungsreichste Land der arabischen Welt mit seinem uralten Militärdiktator Hosni Mubarak, und das kleine Jordanien mit seinem jungen König Abdullah. Beide länder grenzen an Israel. Dessen Regierungschef Benjamin Netanjahu sprach am Wochenende bereits offen von einer Gefahr für den jüdischen Staat, die von den Ereignissen in Tunesien ausgehe.
Diese Furcht, die tragischerweise gleichzeitig die Hoffnung der Unterdrückten in diesen ländern ist, dürfte allerdings übertrieben sein. Denn das Beispiel Tunesien zeigt nicht nur, dass ein Herrscher, der eben noch als unangreifbar galt, verjagt werden kann. Es zeigt leider auch, dass ein wirklicher demokratischer Wandel in der arabischen Welt nicht zu erwarten ist. Dem Westen erspart das immerhin, seine zynische Nahostpolitik grundlegend überdenken zu müssen.

Alte Garde macht munter weiter

Tunesiens neue Regierung ist größtenteils die alte Clique minus den Diktator persönlich und ein paar der allerkorruptesten und daher unpopulärsten Familienmitglieder und Verbündeten. Die Hinweise verdichten sich, dass Teile der obersten Machtzirkel - tunesische Militärs und andere Sicherheitskräfte - sie dem Volkszorn opferten, um selbst an der Macht bleiben zu können.
Der größte Teil der alten Garde macht munter weiter. Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi, Ben Alis rechte Hand, hat die besten Chancen, selbst zum Präsidenten gewählt zu werden - selbst wenn die Opposition sich mit weiteren Protesten doch noch eine stärkere Beteiligung an der Ìbergangsregierung erstreiten oder gar die Führung übernehmen kann.
Kein Oppositionsführer ist populär genug, um es in einem möglichen Wahlkampf mit Ghannouchi aufzunehmen, der als persönlich integer gilt. Zudem ist der riesige Verwaltungsapparat, auf den sich Ben Ali jahrzehntelang stütze, trotz des Umsturzes intakt geblieben. Die Beamten sind ebenso wie das Gros der Sicherheitskräfte vor allem an Kontinuität interessiert. Alle wichtigen außenpolitischen Partner inklusive der Bundesregierung haben Tunesiens neue Regierung bereits anerkannt und jede erdenkliche Unterstützung versprochen.
Das heißt, dass die Demokraten in Tunesien wohl vergeblich auf tiefgreifende Reformen hoffen und dass der Westen weiter einen "zuverlässigen Partner" haben wird. Zu hoffen bleibt nur, dass wenigstens die schlimmsten Auswüchse von Polizeiterror und Korruption etwas eingedämmt werden.
Ähnliche Szenarien lassen sich auch auf Staaten wie Ägypten übertragen. Ein Sturz des greisen Mubarak durch die demokratische Opposition oder die Muslimbrüder ist weniger wahrscheinlich, als dass seine eigenen Gefolgsleute aus Sicherheitskräften und Wirtschaftselite ihn absetzen. Mubaraks Herrschaft hat, wie jene Ben Alis in Tunesien, König Abdullahs in Jordanien oder die der Monarchen am Golf, keine ideologische Grundlage.
Die jeweilige Machtclique dieser länder wird ihren Frontmann auswechseln, wenn sie es für den Erhalt der eigenen Pfründe für notwendig erachtet. Das Schicksal Ben Alis und der neue Schwung der Opposition im eigenen Land dürften die mächtigen Männer in Ägypten und anderswo anregen, darüber nachzudenken, ob dieser Zeitpunkt gekommen ist.
Sowohl die Armeen, Geheimdienste und sonstigen Sicherheitskräfte als auch die Wirtschaftseliten sind von guten Beziehungen zu Europa und den USA abhängig. Sie werden weiterhin Stabilität garantieren - und Demokratie verhindern.

 

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