Von Peter Münch, Tel Aviv
Israel fürchtet kaum etwas so sehr wie den Sturz des ägyptischen Herrschers Mubarak - er gilt als Bollwerk gegen ein Erstarken der Islamisten. Die Sorge ist groß, dass die gesamte Region in eine Periode größter Instabilität abrutscht.
Stürme sind sie gewohnt in Israel, auch die Ruhe vor dem Sturm. Doch Ruhe mitten im Sturm, das ist etwas Neues. Von Tunesien bis nach Ägypten ist derzeit die arabische Welt in Aufruhr, im Libanon greift die Hisbollah nach der Macht und im palästinensischen Westjordanland gerät die Führung durch Enthüllungen des Fensehsenders al-Dschasira in Nöte.
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Immerhin wurde es ein kalter Frieden: Anwar Sadat, Jimmy Carter und Menachem Begin besiegeln den Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten, 1979 (AP)
In Jerusalem jedoch kann die Regierung nur zuschauen und abwarten, was die Unruhe in der unmittelbaren Umgebung hervorbringt. Die verantwortlichen Politiker und Generäle haben sich selbst absolute Zurückhaltung auferlegt. Sie wollen kein Öl ins Feuer gießen und sprechen von "internen Angelegenheiten" der Nachbarn. Doch die Sorge ist groß, dass die gesamte Region in eine Periode größter Instabilität abrutscht - und Israel plötzlich wieder ins Zentrum des Sturms geraten könnte.
Kalter Frieden
Der Schlüsselstaat für Israel in diesem Krisenszenario ist Ägypten: Der südliche Nachbar ist mit seinen mehr als 80 Millionen Einwohnern nicht nur der bevölkerungsreichste Staat der arabischen Welt und trotz mancher Abstriche immer noch ihr Zentrum; Ägypten ist vor allem Israels Stabilitätsanker in der chronisch unruhigen Region, seit Ägyptens damaliger Präsident Anwar el-Sadat und Israels Premierminister Menachem Begin vor mehr als 30 Jahren einen historischen Frieden schlossen. In der Bevölkerung am Nil hat das zwar bis heute wenig Rückhalt gefunden, es bleibt ein kalter Frieden. Doch die Führungen kooperieren aufs Beste, schließlich haben sie ein ganzes Bündel gemeinsamer Interessen: Beide sind abhängig von amerikanischer Unterstützung, beide sehen in den Islamisten vom Schlage der Muslimbrüder und ihres Ablegers Hamas im Gaza-Streifen ihre größten Feinde.
In den drei Jahrzehnten seiner Amtszeit hat Präsident Hosni Mubarak noch jeden israelischen Ministerpräsidenten in Kairo oder in Scharm-el-Scheich empfangen. Von ihm gingen immer wieder Friedensimpulse aus, er und sein Geheimdienstchef Omar Suleiman dienen als unverzichtbare Vermittler zwischen Israel und den Palästinensern.
Die Proteste in Ägypten bedrohen also ganz massiv die israelischen Interessen. Die Europäer mögen die Hoffnung hegen, dass nun eine Demokratiebewegung den alten Autokraten stürzt. Die Israelis hoffen vor allem auf Mubaraks feste Verankerung im Sicherheitsapparat - und dass der alle Umtriebe schleunigst niederschlägt.
Der frühere Minister Benjamin Ben-Elizier von der Arbeitspartei, der als Israels Politiker mit den engsten Kontakten zu Mubarak gilt, beruhigt das Land mit der Einschätzung, dass die Lage unter Kontrolle sei. Der Staatschef erlaube dem Volk nur, "Dampf abzulassen". Jeder in Israel weiß aber auch, dass alles schnell aus dem Ruder laufen kann.
Ein früherer israelischer Botschafter in Kairo, Eli Schaked, warnt bereits davor, dass "alle Alternativen, von einer islamistischen Regierung bis hin zur säkularen Opposition, weit weniger freundlich zum jüdischen Staat" wären.
Auf dem Vulkan
Vor allem die islamistische Gefahr ist es, die die Israelis umtreibt. Die Europäer gelten hier einmal mehr als naiv. "Es geht in diesem Kampf nicht um Mubarak gegen pro-demokratische Elemente, sondern um Mubarak und die Muslim-Bruderschaft", wird der Generalmajor a.D. und frühere Nationale Sicherheitsberater Giora Eiland zitiert. Der bange Blick richtet sich dabei immer auch auf das Jahr 1979 und Iran. Mit dem Schah hatte Israel gedeihliche Beziehungen, sein Sturz brachte ein Regime an die Macht, das Israel heute in seiner Existenz bedroht. Eine ähnliche Entwicklung in Ägypten wäre schlicht eine Katastrophe.
Schließlich kämpft Israel an seinen Grenzen im Norden und im Süden bereits mit zwei iranischen Satelliten - und beide haben derzeit Aufwind. Im Libanon lässt die schiitische Hisbollah ihre Muskeln spielen. Je mehr Macht die Miliz an sich reißt, desto größer wird die Gefahr, dass sie das Land in eine neue Konfrontation mit Israel treibt.
Im Gaza-Streifen könnte die ebenfalls von Teheran munitionierte Hamas von der Veröffentlichung von Geheimpapieren aus den Friedensverhandlungen profitieren, in denen die rivalisierende Fatah-Führung in Ramallah als nachgiebig und schwach gegenüber Israel erscheint. Der Nahost-Vermittler Tony Blair hat die Enthüllungen des TV-Senders al-Dschasira als "schädlich und destabilisierend" bezeichnet. Und selbst wenn sich Präsident Machmud Abbas vom Ruch des Verrats wieder lösen kann, wird er künftig mit Rücksicht auf die Stimmung im Volk eine weit härtere Haltung gegenüber Israel an den Tag legen müssen.
Relativ ruhig erscheint in Israels Nachbarschaft derzeit nur noch Jordanien, das zweite Land, mit dem offiziell Frieden geschlossen worden ist. Doch auch das Königreich mit seiner palästinensischen Bevölkerungsmehrheit ist von vielen Bruchlinien durchzogen und alles andere als stabil. Israel wird sich also darauf einstellen müssen, dass sich die Lage ringsum noch zuspitzen könnte. In den Medien ist von einem "Vulkan" die Rede, auf dem man lebe. Denn wenn auf den Straßen der arabischen Nachbarn nun "Revolution" gerufen wird, dann klingt das Echo in Israel immer nach Krieg.
URL:
http://sueddeutsche.de/politik/israel-und-die-arabische-welt-das-echo-der-revolution-1.1052755
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Quelle:
(SZ vom 29.01.2011)
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