Berlin: Gewerkschaftsspaziergang, revolutionäre Demo und vieles mehr
In Berlin gab es zwei offizielle Demonstrationen und eine Spontandemonstration.
Um 9 Uhr trafen sich circa 2.000 Menschen zur Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Das Motto – „Das ist das Mindeste“ – war passend gewählt, ist doch auch die allgemeine Kampfbereitschaft der DGB-Führung nie mehr, als „das Mindeste“. Und so auch am ersten Mai: Ein kleinlauter Spaziergang als kläglicher Ersatz für eine kämpferische Demonstration. Von ArbeiterInnenvierteln hielt man sich dabei ebenso konsequent fern, wie von echter ArbeiterInnenpolitik.
Ein klassenkämpferischer Block mit über 500 TeilnehmerInnen gab dieser Demo ihren einzigen, ernsthaften Inhalt. Die anarchosyndikalistische Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion hatte dabei ihren eigenen „Block im Block“. Nachmittags kam es zu einer Spontandemonstration mit bis zu 1.000 TeilnehmerInnen am Mariannenplatz, die sich gegen die steigenden Mieten und die unsozialen Privatisierungen in der Hauptstadt richtete.
Um 18 Uhr trafen sich über 10.000 Jugendliche und ArbeiterInnen am Kottbusser Tor zur revolutionären 1. Mai-Demonstration. Auf der Demo ging es um den Kampf gegen Sozialkürzungen, die Solidarität mit den Aufständen in Nordafrika und dem Nahen Osten und die revolutionäre Ìberwindung des Kapitalismus. Internationale Redebeiträge und linker Rap von Holger Burner begleiteten die Demo durch Kreuzberg und Neukölln.
Nach gut einer Stunde friedlicher Demonstration kam es an der Spitze des Zuges zu Auseinandersetzungen. Auf eingeworfene Scheiben von Banken und Mode-Geschäften folgten Pfefferspray und Verhaftungen. Am Rathaus Neukölln kam es schließlich zu einem zweiten Zusammenstoß zwischen Polizei und Demonstrierenden. Im Anschluss folgte die Auflösung der Demo durch die VeranstalterInnen.
Viele, friedliche TeilnehmerInnen bestanden allerdings auf ihr Demonstrationsrecht. So fanden sich neue AnmelderInnen, die mit der Polizei eine kurze Fortführung der Demonstration aushandelten. Am Hermannplatz wurde die Menschenmenge dann schließlich unter größerer Polizei-Präsenz und vereinzelten Auseinandersetzungen zerstreut.
RIO war von morgens bis abends mit einem eigenen Block präsent und verteilte eine Stellungnahme “Für einen internationalistischen 1. Mai im Zeichen des arabischen Frühlings!”, die zusammen mit den GenossInnen der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale (FT-CI) in Deutschland herausgegeben wurde.
von Markus Oliver, RIO, Berlin
München: Keine Ausschreitungen aber Pfiffe für den Bürgermeister
Der 1. Mai begann um 9:30 Uhr mit einer Ansprache mehrerer FunktionärInnen unterschiedlicher Gewerkschaftsgruppen vor dem Gewerkschaftshaus. Danach ging die Demonstration mit bis zu 5.000 TeilnehmerInnen los. Der „kämpferische Gewerkschaftsblock“ bestand aus SDAJ, PAKT, RIO und weiteren Gruppierungen. Im Rest der Demonstration waren auch MLPD, DKP, Linkspartei und SPD zu sehen. Parolen waren recht selten zu hören – höchstens aus dem kurdisch-türkischen Block.
Die Ankunft am Kundgebungsort war um circa 11 Uhr, wo auch der DGB-Vorsitzende Bayerns und der sozialdemokratische Münchner Oberbürgermeister Christian Ude ihre Reden hielten, wobei der Bürgermeister nicht sehr freundlich empfangen wurde. Vor allem als er von der Wettbewerbsfähigkeit der öffentlichen Betriebe sprach, wurde er ausgepfiffen, was ihn ein wenig wütend werden ließ (das schlug sich nieder in einer kurzen „Wer dagegen ist, hat doch keine Ahnung“-Reaktion).
Am Ende der Kundgebung spielte eine Band noch ein recht interessantes Lied („Wir sind doch eine Klasse, wir dürfen uns nicht trennen lassen” etc.), und danach gab es ein Weichspülkulturprogramm und verschiedene Stände, die hauptsächlich dem Informationszweck dienten (Mieterbund, Gewerkschaft der Gaststätten, etc.) In München gab es keine Ausschreitungen und entspannte PolizistInnen.
Auch hier wurde von RIO die Stellungnahme mit dem arabischen Schriftzug “Permanente Revolution” verteilt.
von Kyle Best, RIO, München
Saarbrücken: Routine in sozialpartnerschaftlichem Geist
In Saarbrücken war die von den Gewerkschaftsapparaten organisierte Demonstration und anschließende Kundgebung reine Routine in sozialpartnerschaftlichem Geist. Unter dem Motto “Protest und Fest” wurden als zentrale Forderungen „faire löhne, gute Arbeit und soziale Sicherheit“ gefordert.
Der Demozug startete unter strahlender Sonne am Schlossplatz und endete am Tbilisser Platz vor dem Staatstheater. Dort sprachen Eugen Roth, Vorsitzender des DGB Saar, und Bernhard Witthaut, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Als sie anfingen zu sprechen, stieg der Alkoholkonsum bei vielen TeilnehmerInnen schlagartig.
An der Demonstration nahmen circa 3.500 Personen teil. Auffallend war die große Zahl an Jugendlichen, sowohl von der IG Metall wie auch von Unorganisierten. Mit ihren selbstgebastelten Schildern gegen Leiharbeit und ihren Sprechchören gegen Prekarisierung und schlechte Zukunftsaussichten haben sie teilweise für eine etwas kämpferische Stimmung gesorgt. Sie waren es auch, die den Demozug mehrfach angehalten haben, um kurze Sitzblockaden durchzuführen. Eine beliebte Parole war: “wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut”, die sich an die Parolen der Studierenden im Bildungsstreik 2009 anlehnte.
Unter den TeilnehmerInnen fanden sich mehrere ArbeiterInnendelegationen zusammen, darunter die ver.di-Betriebsgruppe im Klinikum Saarbrücken, ArbeiterInnen von Saargummi und die IG Metall-Vertrauensleute von Ford Saarlouis. Unter den politischen Parteien und Gruppierungen waren SPD, SDAJ , MLPD und kurdische Gruppen sowie die Gruppe Internationaler Klassenkampf anwesend.
Wir, von Internationaler Klassenkampf, sind zur Demonstration mit einem gemeinsam mit RIO (Revolutionär Internationalistische Organisation) herausgegebenen Flyer “Für einen internationalistischen 1. Mai im Zeichen des arabischen Frühlings!” gegangen. Dieser Flyer - der insbesondere bei jungen IG-Metall-Mitgliedern gut ankam - zeigt die Verbindung zwischen der Wirtschaftskrise, den Angriffen der herrschenden Klassen auf die Ausgebeuteten und Unterdrückten und deren Antwort auf. Diese Antwort findet heute ihren Höhepunkt in den revolutionären Prozessen in der arabisch-muslimischen Welt, in denen die ArbeiterInnenklasse eine zentrale Rolle spielt, wie im Falle Tunesiens und vor allem Ägyptens.
Auch die Angriffe der herrschende Klasse in Deutschland sind Ausdruck des gesteigerten Konfliktes zwischen den Klassen, der sich in einer Prekariesierung der Arbeit unds einer Verschlechterung der Lebensbedingungen der Lohnabhängigen ausdrückt, während im gleichen Zug Banken mit öffentlichem Geldern gerettet werden.
Dies alles verdeutlicht die Notwendigkeit des Aufbaus einer revolutionären Organisation, nicht nur in den arabischen ländern sondern auch in Deutschland und der ganzen Welt. Darin sehen wir von RIO und IK eine zentrale Aufgabe und wir laden alle revolutionären ArbeiterInnen und Jugendlichen ein, gemeinsam mit uns diese gewaltige Aufgabe in Angriff zu nehmen: den Kampf für den Wiederaufbau der Vierten Internationale.
von Mark Turm, Internationaler Klassenkampf (FT-CI), Saarbrücken
Zürich: Revolutionärer Block auf Gewerkschaftsdemo und 500 Verhaftungen
Der Erste Mai in Zürich begann um 9.30 Uhr in der Lagerstraße mit der offiziellen Demonstration der Gewerkschaften. Insgesamt nahmen ungefähr 10.000 Personen teil, wovon sich mindestens 500 zu einem revolutionären Block formierten. Nach Abschluss der Route fand auf dem Bürkliplatz die Schlusskundgebung statt. Die sozialdemokratische Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey wurde eingeladen, eine Rede zu halten, was schon im Vorfeld Aufrufe zu Störaktionen provozierte. Tatsächlich erschallte beim Auftritt der Bundespräsidentin ein Pfeifkonzert, so dass ihre Rede um eine halbe Stunde verlegt werden musste.
Im Anschluss fand auf dem Kanzleiareal (Areal um ein Schulhaus) der “Revolutionäre Treff” statt. Von 12 bis 13 Uhr gab es dort Infostände, eine Bar und Musik. Von 13 bis 15 Uhr gab es verschiedene Auftritte, unter anderem vom Münchner Rapper Crument und der Band RedSka. Es kamen immer mehr Leute in dieses Kanzleiareal. Um circa 16:30 Uhr wurde dieses dann von einem riesigen Aufgebot der Polizei komplett eingekesselt und über 500 Personen verhaftet.
Solche Aktionen gab es schon in früheren Jahren, doch neu war, dass die Polizei nicht nur das Kanzleiareal selbst sondern auch einen angrenzenden Platz einkesselte, um so Personen, die von der Polizei ohne genauere Beschreibung als „Gaffer“ bezeichnet werden, ebenfalls zu verhaften. Auch drängte die Polizei die außerhalb des Kessels stehenden Personen immer weiter zurück, woraufhin die Stimmung immer aggressiver wurde. Auch die Wasserwerfer ließen nicht lange auf sich warten, was viele zum Anlass nahmen, Steine und Flaschen zu werfen, worauf die Polizei dann wiederum mit Hartgummigeschossen antwortete. Ab 20 Uhr gab es im inzwischen wieder freigegebenen Kanzleiareal in einer Theaterhalle noch verschiedene Workshops zu Arbeitskampf, Frauenkampf, Anti-AKW Bewegung, Kurdistan, und politischen Gefangenen. Danach spielte ein regionaler Liedermacher politische Lieder.
von Albert Olter, RIO, Zürich
St. Gallen: 1. Mai am 30. April wegen des reaktionären Versammlungsgesetzes
Am Samstag, den 30. April, versammelten sich rund 200 Personen in St. Gallen zur 1. Mai-Kundgebung. Organisiert wurde sie wie jedes Jahr hauptsächlich von den Gewerkschaften. Dass die Demonstration am Samstag und nicht am 1. Mai selbst durchgeführt wurde, geht auf das rigorose Polizeigesetz in St. Gallen zurück, das unter anderem Demonstrationen an Sonntagen verbietet. Die Demonstrationsroute verlief durch die Altstadt und wurde dabei von einer Blaskapelle angeführt, die traditionelle ArbeiterInnenlieder spielte. So hatte das Ganze eher die Ausstrahlung eines Spaziergangs, von kämpferischer Stimmung war nichts zu spüren. Auf dem Marktplatz, dem Abschlussort der Demonstration, traten danach einige RednerInnen auf: Der sozialdemokratische Ständeratskandidat Paul Rechsteiner, Mitglieder der Jungen Grünen, ein Poetryslammer, sowie eine Rednerin des kurdischen Kulturvereins.
Am Abend luden die Jusos (Jugendorganisation der SozialdemokratInnen) und die Jungen Grünen zum 1. Mai-Benefizkonzert, welches das Verständnis der etablierten Parteien, den ersten Mai als Feier- und Volksfesttag und keinesfalls als Kampftag zu begehen, unterstrich.
Wir von RIO waren auch anwesend und verteilten unsere Flugschrift während der Demo. Außerdem mobilisierten wir auf unsere Veranstaltung zur Rolle der Frauen in den Aufständen in Nordafrika und im Nahen Osten am Samstag, den 7.Mai, um 17 Uhr im Cabi. Was sich dieses Jahr wieder klar zeigte, war das Fehlen eines klassenkämpferischen Blocks. Es darf nicht sein, dass dieser Tag den Gewerkschaften und linksbürgerlichen Parteien überlassen wird!
von Michael Lender, RIO, St. Gallen
Buenos Aires: Die Gewerkschaftsbürokratie mit der Regierung, die revolutionäre Linke mit den ArbeiterInnen
In Buenos Aires gab es zum Internationalen ArbeiterInnenkampftag zwei Hauptveranstaltungen.
Schon am Freitag fand eine Demonstration des Gewerkschaftsbundes CGT mit 300.000 TeilnehmerInnen statt, auf der der Gewerkschaftsführer Hugo Moyano seine Unterstützung für die aktuelle Regierung von Cristina Fernández de Kirchner betonte und um Plätze auf der Wahlliste der Regierungspartei bei den kommenden Wahlen bat. Weiterhin sagte er, dass der 1. Mai “früher ein Tag des Kampfes war, bevor er ein Tag der Freude wurde und mit der heutigen Regierung ein Tag des Dankes ist.” Mehrere Regierungsmitglieder sowie VertreterInnen des UnternehmerInnenverbandes UIA waren ebenfalls bei der Veranstaltung anwesend.
Im Gegensatz zu diesem unverhohlenen Beispiel von Klassenkollaboration feierte die kürzlich gegründete Wahlfront “Frente de Izquierda y de los Trabajadores” (”Front der Linken und der ArbeiterInnen”, FIT), zusammengesetzt aus den trotzkistischen Parteien Partido de los Trabajadores por el Socialismo (PTS), Partido Obrero (PO) und Izquierda Socialista (IS), den “Internationalistischen Ersten Mai der ArbeiterInnen” als einen Tag des Kampfes und der internationalen Solidarität. Der wichtigste Platz von Buenos Aires, der Plaza de Mayo, war gefüllt mit zehntausenden Menschen, die die MärtyrerInnen von Chicago ehrten, die vor fast 125 Jahren für den 8-Stunden-Arbeitstag kämpften. In seiner Rede erklärte Christian Castillo, PTS-Sprecher und Vizepräsidentschaftskandidat der FIT, dass “die Einheit in der Wahlkampagne auf dem Prinzip der Klassenunabhängigkeit und einer klaren anti-UnternehmerInnen-, ArbeiterInnen- und sozialistischen Antwort” auf die weltweite kapitalistische Krise basiert.
In diesem Sinne stellten sie dem aktuellen pro-kapitalistischen Gewerkschafts-”Modell” der CGT ihr eigenes, antibürokratisches, antikapitalistisches Modell des “Sindicalismo de base” (also einer Basisgewerkschaftsbewegung) entgegen und forderten das Ende der Repression und der Verfolgung von AktivistInnen, das Ende der Prekarisierung und einen Mindestlohn, der den durchschnittlichen Konsumausgaben einer Familie entspricht. Als ein Zeichen des Internationalismus und der Solidarität für die Revolutionen im arabischen Raum forderte die FIT das Ende der imperialistischen Intervention in Libyen und trat für das Recht der arabischen Massen ein, ihre Diktatoren selbst zu stürzen.”
von Stefan Schneider, RIO, Buenos Aires
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