Die griechische Krise nimmt immer verheerendere Ausmaße an. Um an die 130 Milliarden Euro des „Rettungspaketes“ der Troika aus EU, EZB und IWF heranzukommen, verabschiedete das griechische Parlament im Februar die größten sozialen Einschnitte in der Geschichte des Landes: Entlassung von 150.000 Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, Kürzungen der Renten und des Arbeitslosengeldes und die Absenkung des Mindestlohns um 20-30% sind nur die herausragendsten Beispiele. Insgesamt wurden Kürzungen von 3,3 Milliarden Euro vorgenommen. Die Arbeitslosigkeit in Griechenland steigt auf astronomische Höhen, Obdachlosigkeit grassiert, die Wirtschaft des Landes liegt am Boden.
Doch dem deutschen und französischen Kapital ging die Zerschlagung des „Sozialstaates“ noch nicht weit genug: Nicht nur forderte die Troika am Tag nach der Verabschiedung des milliardenschweren Sparpakets noch weitere Einsparungen von mehreren Hundert Millionen Euro. Nachdem sich der deutsche Finanzminister Schäuble mit seiner Meinung, dass Wahlen in Griechenland für den weiteren „Reformprozess“ hinderlich sein würden, nicht durchsetzen konnte, erzwang die Troika schriftliche Erklärungen aller großen Parteien, dass sie auch nach den Wahlen mit der bisherigen Sozialkahlschlagspolitik weitermachen würden. Doch selbst das war nicht genug: Die Troika setzte ein griechisches Sperrkonto durch, das für den automatischen Schuldendienst vorgesehen ist und auf das die griechische Regierung keinen Zugriff haben wird. Dieser Eingriff in die Souveränität des griechischen Staates ist sogar noch tiefgreifender als die undemokratische Ersetzung des ehemaligen Regierungschefs Papandreou durch den Vertreter der EU-Bürokratie Papademos im November letzten Jahres. Schritt für Schritt schreitet die Semikolonisierung Griechenlands voran und ist ein Kennzeichen für einen immer autoritäreren Kurs der Troika mit Angela Merkel an der Spitze. Die deutsche Außenpolitik versucht immer offener, die Eurozone und die gesamte EU unter ihre uneingeschränkte politische Herrschaft zu unterwerfen.
Diese Entwicklung wird von einem großen Teil der griechischen Bourgeoisie nur allzu gern mitgemacht. Von der sogenannten „Rettung“ Griechenlands, die in Wirklichkeit Millionen von Menschen in Elend stürzen könnte, profitieren nämlich nicht nur deutsche und französische, sondern auch griechische Banken und Konzerne. Und während seitens der Massenmedien und der Troika der „ausufernde“, „verschwenderische“ griechische Staatsapparat kritisiert wurde, brachten griechische MillionärInnen jahre- und jahrzehntelang unbehelligt ihre Millionen ins Ausland in Sicherheit, bevor die nun durchgesetzten Steuererhöhungen ihnen was antun hätten können, unter denen nun vor allem die große Mehrheit der arbeitenden und arbeitslosen Bevölkerung, die Jugend und die RentnerInnen zu leiden hat.
Aber vor allem: Die Aushebelung der grundlegendsten demokratischen Spielregeln in Griechenland sorgt nun dafür, dass die arbeiterInnen- und massenfeindlichen Maßnahmen der letzten Monate einerseits eine krasse Erhöhung der Ausbeutungsrate durchsetzen kann, die den griechischen und multinationalen Konzernen in den nächsten Jahren Traumprofite garantieren wird, indem massenhaft Arbeitskraft zerstört wird, die zur Verlängerung von Arbeitszeiten und direkten und indirekten Lohnkürzungen dient. Andererseits können genau diese Maßnahmen nun allein dem „EU-Diktat“ untergeschoben werden, denn es sind ja nicht die wichtigsten Parteien des Regimes wie christdemokratische Nea Dimokratia oder die sozialdemokratische PASOK, die diese Angriffe durchführen, sondern die Technokraten-Regierung Papademos‘. Nach den Wahlen werden diese Parteien sich hinstellen und sagen können, dass sie selbst gezwungen wurden, diese Maßnahmen durchzusetzen, und jegliche Eigenverantwortung zurückweisen. Somit könnte sich das verfaulte politische Regime Griechenlands trotz der kompletten Zerstörung des „Sozialstaates“ vor dem Zerfall retten.
Welche Alternative?
Der einzige Weg, wie das verhindert werden könnte, ist eine revolutionäre Mobilisierung der ArbeiterInnenbewegung und der Jugend, die sich konsequent den Spardiktaten der EU entgegenstellt, dafür kämpft, dass die KapitalistInnen ihre Krise selbst bezahlen müssen, und der Kapitulation vor den Interessen des europäischen Großkapitals den Kampf für eine ArbeiterInnenregierung entgegenstellt, die jegliche Schuldenzahlungen verweigern, die Schlüsselindustrien und -dienstleistungen unter ArbeiterInnenkontrolle verstaatlichen, Entlassungen und Sozialkürzungen verbieten sowie eine Perspektive der sozialistischen Umwälzung Griechenlands und ganz Europas auf die Tagesordnung setzen würde.
Leider haben die großen VertreterInnen der griechischen Protestbewegung kein Interesse daran, eine solche Perspektive aufzuzeigen. Weder die stalinistische KKE mit ihrem Gewerkschaftsverbund PAME noch die meisten Teile des Parteienbündnisses SYRIZA oder die neugegründete „Demokratische Linke“, welche zusammengenommen momentan auf bis zu 43% der WählerInnenstimmen kommen würden, haben eine Antwort auf die Frage, welche Alternative zum Spardiktat tatsächlich besteht. Sie beschränken sich auf einen parlamentarischen Weg, und anstatt den Sturz der Regierung durch die Mobilisierung der Massen auf den Straßen und einen unbefristeten, aufständischen Generalstreik zu fordern, hoffen sie auf die Problembewältigungsmechanismen der bürgerlichen Demokratie. Es gibt zwar kleinere Kräfte, die von der Notwendigkeit eines „Dauerstreiks“ und eines „Programms für die Staatsmacht“ reden, aber auch sie bieten keine kohärente Strategie an, die über die schwammige Formel „Die Linke muss zusammenarbeiten“ (wofür, auf welcher Grundlage, mit welcher Strategie?) hinausgeht.
Gleichzeitig drehen sich viele Diskussionen um die mögliche Zukunft Griechenlands, auch innerhalb der Linken, um die Frage des Ausstiegs aus dem Euro oder dem Verbleib darin. Für uns von RIO, der Revolutionären Internationalistischen Organisation, sympathisierende Sektion der Trotzkistischen Fraktion für den Wiederaufbau der Vierten Internationale (FT-CI), ist dies aber eine falsche Alternative: Beide Wege würden die Ersparnisse von Millionen von Menschen zunichte machen, ohne das grundlegende Problem der ökonomischen Abhängigkeit Griechenlands von der EU tatsächlich zu lösen, und sind somit nur zwei verschiedene Modelle zum Angriff auf die griechische Bevölkerung. Die einzige Alternative, die den griechischen Massen einen progressiven Ausweg aus der Krise zeigen kann, ist der Kampf für den Sturz der Regierung und der Etablierung einer ArbeiterInnenregierung, die aus den selbstverwalteten Organen der Massen entspringt. Nur die Verbindung des Kampfes für die Bedürfnisse der Massen heute mit dem Kampf für eine sozialistische Umwälzung der Gesellschaft, wie sie als Methode im Ìbergangsprogramm von Leo Trotzki vorgeschlagen wurde, kann die griechische Misere beenden, denn innerhalb des Rahmens des Kapitalismus besteht in der jetzigen Krise für die griechischen Massen nur die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Die ArbeiterInnenkontrolle
Lange war diese Perspektive in Griechenland überhaupt nicht greifbar. Zwei Jahre voller Generalstreiks und beeindruckender Protest-bewegungen konnten die immer schärfere Unterwerfung Griechenlands unter die Fuchtel der EU kein Stück verlangsamen. Doch in den letzten Monaten sind neue Phänomene entstanden, die sich qualitativ von den Erfahrungen der zwei vorigen Jahre unterscheiden. Durch die immer weiter grassierende Krise werden immer mehr ArbeiterInnen dazu gezwungen, ihre Betriebe, die sie entlassen wollten, zu besetzen, de facto zu enteignen und unter Selbstverwaltung der Belegschaft mit der Produktion fortzufahren. Die zwei herausragendsten Beispiele davon, die auch international für Aufsehen gesorgt haben, sind das Krankenhaus in Kilkis und die Zeitung Eleftherotypia, die nach Monaten der Nichtzahlung von Lohn den Betrieb in ihre eigenen Hände genommen haben. Diese ersten Erfahrungen von ArbeiterInnenselbstverwaltung und direkter ArbeiterInnendemokratie können die Keimzellen sein, die der Perspektive der ArbeiterInnen-regierung Leben einhauchen.
Diese Perspektive muss verbunden sein mit einem unbedingten Internationalismus, denn die griechische Misere kann nicht in Griechenland allein überwunden werden. Dies kann nur der Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa. Eine solche internationalistische Perspektive muss sich auch dem immer schärfer werdenden griechischen Nationalismus entgegenstellen, den die Parteien links von der PASOK, insbesondere die KKE mit ihrer stalinistischen Ideologie vom Sozialismus in einem Land, selbst zu schüren helfen und welcher über kurz oder lang zu einem massiven Auftrieb der rechtsextremen Parteien wie LAOS oder „Goldene Morgenröte“ führen wird.
Im Herzen der Bestie
Die ArbeiterInnenbewegung und die Linke in Deutschland spielt eine Schlüsselrolle dabei, dass eine solche Perspektive Wirklichkeit werden kann. Nur wenn „im Herzen der Bestie“ der Kampf gegen die neo-koloniale Politik Merkels und für die Einheit mit unseren griechischen Schwestern und Brüdern geführt wird, kann sich eine gemeinsame Bewegung entfalten, die über die Grenzen der Nationalstaaten hinaus eine Perspektive jenseits der kapitalistischen Misere aufzeigen kann. Der Kampf gegen die Auswirkungen des erstarkenden deutschen Imperialismus kann nur erfolgreich sein, wenn die Linke in Deutschland einen anti-imperialistischen Kampf gegen die deutsche Bourgeoisie beginnt. Dieser muss auf mehreren Ebenen geführt werden: ideologisch gegen die nationalistische Hetze gegen die „faulen Griechen“, politisch mit starken Mobilisierungen gegen die deutsche Politik in Europa, und ökonomisch mit Streiks gegen die Konzerne, die am meisten von der Ausplünderung Griechenlands profitieren, und einer generellen Verschärfung des ökonomischen Klassenkampfs in Deutschland, die die immer schärfer werdende Lohnkonkurrenz in Europa beendet.
Internationale Solidarität darf sich nicht nur auf verbale Bekundungen beschränken, sondern muss praktisch werden im Kampf gegen den deutschen Imperialismus und für eine sozialistische Perspektive für ganz Europa. Ein Element davon ist, die aktuellen Streiks und Kämpfe für ArbeiterInnenselbstverwaltung in Griechenland, wie dem Krankenhaus in Kilkis, dem Stahlwerk Elliniki Chalywurgia und der Zeitung Eleftherotypia, aufzugreifen und zu zeigen, dass das nicht nur erfolgreiche Beispiele für Kämpfe um Lohn und Arbeitsplätze sind, sondern erste Symptome einer qualitativen Veränderung im Bewusstsein und der Organisation der griechischen (und potentiell der europäischen) ArbeiterInnenklasse; Symptome, die, falls sie verallgemeinert werden, die Grundlagen für eine sozialistische Umwälzung bieten können. Dazu ist es jedoch notwendig, eine Partei aufzubauen, die sich dieser Beispiele als essentiell für die Zukunft Griechenlands und ganz Europas annimmt; eine revolutionäre Partei, deren Grundlage die die sowjetische Strategie von ArbeiterInnendemokratie, vollständiger Unabhängigkeit der ArbeiterInnenklasse und die Ìbergangsmethode ist und international die sozialistische Weltrevolution vorantreiben will; eine Partei, die für den Wiederaufbau der Vierten Internationale kämpft.
– Gegen das Spardiktat der Troika! Verweigerung jeglicher Schuldenzahlungen!
– Für den revolutionären Sturz der griechischen Regierung!
– Gegen die versöhnlerische Bürokratie der Sozialdemokratie und der StalinistInnen!
– Für die Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle der Industrie und Dienstleistungen!
– Für eine Regierung der ArbeiterInnen und der armen Massen in Griechenland!
– Hoch die internationale Solidarität! Für einen anti-imperialistischen Kampf gegen die deutsche Bourgeoisie! Der Hauptfeind steht im eigenen Land!
– Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!
13/03/2012
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