Im Oktober 2013 erlangte die Front der Linken und der ArbeiterInnen (FIT) bei den argentinischen Parlamentswahlen 1,2 Millionen Stimmen. Am vergangenen Freitag berichtete Christian Castillo, führendes Mitglied der Partei Sozialistischer ArbeiterInnen (PTS) und Abgeordneter für die FIT in der Provinz von Buenos Aires, in Berlin in einem vollständig gefüllten Saal vor über 100 ZuhörerInnen über diese Erfahrung. Unter den Anwesenden waren zahlreiche Studierende, SchülerInnen, ArbeiterInnen und AktivistInnen der radikalen Linken.
Die Veranstaltung wurde von der Sozialistischen Alternative (SAV), der Neuen Antikapitalistischen Organisation (NAO) und der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO) organisiert. 100 Jahre nach dem Nein von Karl Liebknecht gegen die Kriegskredite und dem Bankrott der deutschen Sozialdemokratie wollten sie mit Castillo über die Frage des revolutionären Parlamentarismus diskutieren und die aktuellen Herausforderungen in Argentinien und Europa diskutieren. Dazu saßen neben Castillo noch Martin Suchanek (GAM/NAO), Sascha Stanicic (SAV) und Stefan Schneider (RIO) auf dem Podium.
Der Besuch des Genossen ist Teil einer internationalistischen Reise durch Europa, durch die er die Erfahrungen der FIT bekannter machen möchte. Gerade im Rahmen der kapitalistischen Krise ist es wichtig, dass die ArbeiterInnen, die Jugend und die trotzkistische Linke von diesem Erfolg lernen kann. Er hielt bisher Referate in London und unterstützte die streikenden ArbeiterInnen der Lebensmittelfabrik Panrico in Barcelona. In den kommenden Tagen wird er in Griechenland, Frankreich und im Spanischen Staat sprechen.
Castillo, von der Führung der Partei Sozialistischer ArbeiterInnen (PTS), der Schwesterorganisation von RIO, begann sein Referat, indem er der im Kampf für eine sozialistische Revolution gefallenen Rosa Luxemburg gedachte. Dann erzählte er, dass der Erfolg der FIT auf eine langjährige Erfahrung der ArbeiterInnenklasse mit der links-populistischen Regierung der Kirchners zurückzuführen ist. Aktuell schwelt im politischen Regimes des Landes eine Krise, die durch stärkere ökonomische Spannungen verschärft wird. „Sektoren der ArbeiterInnen brechen mit ihrer ehemaligen Führung, dem Peronismus, und gehen nach links“, so Castillo. Dies zeigte sich in dem Generalstreik vom 20. November 2012, der von den ArbeiterInnen zum Teil auch gegen ihre bürokratischen Führungen durchgeführt wurde. Genauso wichtig ist jedoch die hartnäckige Arbeit gewesen, die vor allem die PTS im letzten Jahrzehnt in der ArbeiterInnenbewegung vollzog, mit der sie Betriebsräte in wichtigen Industrien erreichte.
Dies drückte sich auf der Wahlebene in den Stimmen für die FIT aus, die ein klar sozialistisches Programm aufstellte. Kernforderungen wie die Nicht-Zahlung der Auslandsschulden und die entschädigungslose Enteignung der Minen, der Banken und der Großindustrie unter Kontrolle und Verwaltung der ArbeiterInnen und NutzerInnen sind Ausdruck dieses antiimperialistischen und antikapitalistischen Profils, durch das sich die trotzkistische Linke auszeichnet. “Wir intervenieren ins Parlament, nichts weil wir Illusionen im Parlamentarismus haben,“ so Castillo, „sondern um den Kampf für einen ArbeiterInnenstaat auf der Grundlage von Räten voranzutreiben.”
In seinem Referat ging Martin Suchanek (GAM/NAO) auf die Situation in Europa und Deutschland ein, wo RevolutionärInnen gegen große reformistische Apparate zu kämpfen haben. In Griechenland hat der Wahlerfolg der linksreformistischen Kraft Syriza diesen Apparaten einen großen Aufschub gegeben. Auch in Deutschland stellt sich die Frage des Aufbaus einer revolutionären ArbeiterInnenpartei, welche unabhängig von den Apparaten der Gewerkschaften und der Linkspartei ist. Dabei ist Parlamentsarbeit eine untergeordnete, wenn auch hilfreiche Aufgabe. Um an diesen Punkt zu gelangen, „müssen die linken Kräfte ihre Schwäche überwinden und in einen Umgruppierungsprozess eintreten“, schloss Suchanek.
Sascha Stanicic (SAV) brachte Erfahrungen seiner internationalen Strömung des Komitees für eine ArbeiterInneninternationale (CWI) in die Debatte ein. Erst vor wenigen Wochen trat Kshama Sawant aus der Socialist Alternative, Schwesterorganisation der SAV in den USA, ihren Sitz im Stadtrat von Seattle an. „Ein offen sozialistisches Programm ist nicht der einzige Grund für einen solchen Wahlerfolg, aber eine Grundvoraussetzung“ erläuterte Stanicic. Er berichtete auch von dem Sitz der irischen GenossInnen des CWI im Europaparlament, den sie in den Dienst von sozialen Bewegungen stellen. In Bezug auf Deutschland stellte er klar, dass nur eine Basis von AktivistInnen eine Arbeit in Kommunalparlamenten möglich mache und die Forderung der FIT, dass Abgeordnete nur soviel wie einen durchschnittlichen ArbeiterInnenlohn bekommen, auch hier wichtig ist.
Stefan Schneider (RIO) hob die Bedeutung hervor, welche die FIT über die Grenzen Argentiniens hinaus besitzt. Der Wahlerfolg zeige, dass es möglich ist, mit einem offen revolutionären, sozialistischen Programm die Massen zu erreichen. Dies steht im Gegensatz zu den breiten antikapitalistischen oder offen linksreformistischen Projekten, welche in den letzten Jahren in Europa entstanden. Auch in Deutschland verträten viele Linke die Position, dass die Linkspartei das einzig mögliche ist. „In vielen einzelnen Kämpfen können wir eine Infragestellung des herrschenden Systems feststellen, im Kampf der Geflüchteten gegen den behördlichen Rassismus, bei den Streiks im Einzelhandel oder bei Neupack durch eine Ablehnung der bürokratischen Führung“, so Schneider. Es bedarf deshalb einer alternativen Kraft, welche sich die Selbstorganisierung der Kämpfenden und eine antibürokratische Perspektive für die Einheit der ArbeiterInnenreihen auf die Fahne schreibt.
Im Anschluss an das Podium gab es eine ausgiebige Debatte, in der sehr kontrovers über die Frage des Aufbaus einer revolutionären antikapitalistischen Organisation in Deutschland diskutiert wurde, insbesondere in Bezug auf ihr Verhältnis zur Linkspartei und die Frage, was der Erfolg der FIT für RevolutionärInnen in Deutschland bedeutet. Eine wichtige Diskussion in diesem Rahmen drehte sich darum, ob es mit einem klaren sozialistischen und revolutionären Programm möglich ist, die Massen zu gewinnen. Einigkeit herrschte über die Notwendigkeit gemeinsamer Aktionen, welche die unterschiedliche Programmatik nicht verdeckt. Jan Richter, Teil des Betriebsrates bei H&M in der Friedrichstraße berichtete von der „großen Unterstützung“, die verschiedene revolutionäre Gruppen in Berlin für die Streikposten während des siebenmonatigen Streiks im Einzelhandel leisteten.
In seinem Abschlussstatement, welches schon zu später Stunde gehalten wurde, hob Castillo noch einmal die Arbeit in den Betrieben und Universitäten hervor. Während viele Linke nach dem Fall der Mauer die ArbeiterInnenklasse als überholt ansahen, konnte sich die PTS so eine bedeutende Basis im Industrieproletariat erkämpfen. Deshalb ist eine wichtige Herausforderung für die PTS heute die Eroberung von ganzen Gewerkschaften aus den Händen der Bürokratie. Eine andere ist es, die Diskussion über den Aufbau einer großen revolutionären Partei mit den Kräften innerhalb der FIT zu eröffnen. „Die Aufgabe von RevolutionärInnen ist es, die soziale Kraft, welche in der Lage ist, den Kapitalismus zu begraben, dazu zu befähigen.“
Am Sonntag besuchte er die traditionelle Luxemburg-Liebknecht-Lenin-Demonstration, die vom Frankfurter Tor zur Gedenkstätte der Sozialisten führt. Gemeinsam mit anderen trotzkistischen Organisationen war RIO Teil eines „Blockes im Gedenken an die gefallenen Bolschewiki-LeninistInnen“, die gegen die stalinistische Bürokratie in der Sowjetunion und die reformistischen Führungen der ArbeiterInnen in den kapitalistischen ländern kämpften.
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