Interview zur besetzten Fabrik Zanon in Argentinien
05/11/2009
Zanon ist in vielen Teilen der Welt bekannt, weil die Zanon-ArbeiterInnen seit 2002 unter ArbeiterInnenkontrolle produzieren. Kannst du ein bisschen über die Fabrik erzählen?
Zanon ist die größte und auch die modernste Keramikfabrik auf dem Kontinent. Hier werden vor allem Fließen produziert, die in mehr als 25 länder exportiert werden. Bis zu 1.500 Menschen könnten hier arbeiten. Momentan sind wir 470 Arbeiterinnen und Arbeiter, die die Fabrik in Eigenregie am Laufen halten.
Aber wie war die Situation der Fabrik bis zum Jahr 2001? Hatte sie davor schon eine besondere Kampftradition?
In Zanon gab es so gut wie keine Kampftradition. Die Fabrik wurde im Jahr 1980, also unter der Militärdiktatur, gegründet und von Anfang an gab es eine eiserne Kontrolle über die Arbeitsdisziplin. Nach dem Sturz der Diktatur wurde eine Gewerkschaft organisiert, aber sie war durch die Gewerkschaftsbürokratie kontrolliert. Die Gewerkschaftsführer hatten immer Abmachungen mit dem Unternehmen: wenn der Besitzer Luigi Zanon fünf ArbeiterInnen entlassen wollte, hat er 20 Entlassungen angekündigt, damit diese Gewerkschaft dann 15 Arbeitsplätze "retten" konnte. Später, als wir die Fabrik besetzt hatten, gab es mehrere Räumungsversuche durch StreikbrecherInnen und Schläger – in deren Reihen sahen wir auch diese Gewerkschaftsbürokraten wieder!
Was waren die ersten Schritte beim Arbeitskampf in den Jahren 2001-02?
Im Jahr 2001 explodierte eine Situation, die sich jahrelang angebahnt hatte. In unserem Fall konnten wir die Interne Kommission [ungefähr vergleichbar mit einem Betriebsrat] bereits im Jahr 1998 den Händen der Gewerkschaftsbürokratie entreißen. Weil wir uns nicht öffentlich treffen konnten, organisierten wir Fußball-Spiele am Wochenende, um die Kollegen für eine oppositionelle Betriebsratsliste zu gewinnen.
Als Interne Kommission begannen wir, Entlassungen und Suspendierungen zu bremsen und an den Generalstreiks teilzunehmen, die von den Gewerkschaftszentralen ausgerufen wurden. Doch bei diesen Protesten hatten wir unser eigenes Programm, das sich von den bürokratischen Zentralen unterschied. Im Jahr 2000 eroberten wir dann auch die lokale KeramikarbeiterInnen-Gewerkschaft SOECN zurück.
Und du bist jetzt der Gewerkschaftsvorsitzende?
Ich hatte diesen Posten mehrere Jahre inne. Aber wir haben für unsere Gewerkschaft ein sehr demokratisches Statut verabschiedet, der neben einem durchschnittlichen ArbeiterInnenlohn für alle Funktionäre und auch das Rotationsprinzip für alle Funktionen vorsieht. Deswegen ist jetzt ein anderer Kollege Vorsitzender und ich bin stellvertretender Vorsitzender.
Es war der Tod eines Zanon-Arbeiters, der einen qualitativen Sprung in der Kampfbereitschaft der Belegschaft mit sich brachte. Kannst du davon erzählen?
Daniel Ferras, ein Arbeiter in der Fabrik, starb am 16. Juli 2000 in den Armen von einem Basisdelegierten, weil das gesetzlich vorgeschriebene medizinische Gerät im Betrieb nicht vorhanden war. Dieses Ereignis löste den ersten "wilden Streik" – um den deutschen Begriff zu verwenden – aus, den wir als neu gewählte Gewerkschaftsführung anleiteten. Bei diesem "Streik der neun Tage" haben wir die Fabrik neun Tage lang mit Streikposten und Zelten vor dem Tor blockiert. Dort entstand auch die Frauenkommission und auch gab es die ersten Straßenbesetzungen. Wir hatten den Rückhalt von beinahe 100% der Belegschaft. Es war das erste Mal in der Geschichte der Fabrik, dass ein Streik dieses Ausmaßes stattfand; es war das erste Mal, dass die Belegschaft als Einheit handelte. Das war der wirkliche Anfang des Prozesses, denn da wurde den ArbeiterInnen klar, dass wir für das Unternehmen nur Zahlen sind.
Als wir Jahre später die Fabrik übernahmen, um unter ArbeiterInnenselbstverwaltung zu produzieren, riefen wir Daniels Mutter an, und sie arbeitet auch heute noch bei uns. Daniel hatte nämlich seine Familie, vor allem seine Mutter, finanziell unterstützt, denn sein Vater und seine Brüder waren arbeitslos. Daniel war ein prekär beschäftigter Leiharbeiter, als er gestorben ist. Wir haben für die Rechte von allen Arbeitern – ob fest angestellt oder nicht – gekämpft, und Daniel war trotz seines prekären Status bei jedem Streik, bei jeder Versammlung und bei jeder Demonstration dabei. Deswegen ist er bis heute ein Symbol unseres Kampfes.
Wie kam es schließlich im Jahr 2001 zum Besetzungsstreik?
Im Jahr 2001 explodierte die argentinische Wirtschaft, mit einem brutalen Fall des Bruttoinlandsprodukts, der Tausende Fabriksschließungen und Millionen Entlassungen mit sich brachte, und auch die Enteignung der Ersparnisse von Tausenden Kleinanlegern. Das rief einige wirklich revolutionäre Tage hervor, die die Regierung von De La Rúa zu Fall brachten und verschiedenste kämpferische Bewegungen entstehen ließen: Arbeitslose blockierten Straßen (das war die "Piquetero"-Bewegung), Volksversammlungen etablierten sich in großen Städten, ArbeiterInnen besetzten ihre Fabriken usw. In unserem Fall gab es ab Oktober 2001 eine Besetzung, weil der hoch verschuldete Luigi Zanon die Fabrik schließen und fast die gesamte Belegschaft auf die Straße setzen wollte.
Wie seid ihr von der Fabrikbesetzung zur Produktion unter ArbeiterInnenkontrolle übergegangen?
Es war ein sehr schwieriger Prozess. Einige von uns waren von Anfang an von diesem Ziel absolut überzeugt. Aber die Mehrheit der ArbeiterInnen hielt das für eine zu große Herausforderung. Schließlich ging es darum, das Privateigentum zu verletzen und Polizeirepression sowie Gerichtsprozesse zu riskieren (was wir am Ende auch hatten).
Unsere Position damals war, die Erfahrung durchzumachen und das Protesttempo der Mehrheit der KollegInnen zu respektieren. Fünf Monate verbrachten wir in Zelten außerhalb und innerhalb der Fabrik. Aber in der Zeit saßen wir nicht einfach herum, sondern bildeten Arbeitskommissionen: eine Pressekommission; eine Solidaritätskommission, in der Kollegen von verschiedenen Organisationen mitarbeiteten; eine Sicherheitskommission, die die Besetzung verteidigte und sich später in die Fabrikwache verwandelte; eine Frauenkommission, die von Arbeiterinnen der Fabrik sowie Ehefrauen, Müttern, Töchtern organisiert wurde; und noch einige mehr.
Daraus entstand eine spektakuläre ArbeiterInnenmilitanz: eine Reihe von AktivistInnen gewannen Erfahrungen, die für den Aufbau der ArbeiterInnenkontrolle genutzt wurden. Während dieses Streiks begannen wir, die Waren im Lager zu verkaufen, um unsere ausstehenden löhne zu bekommen – und als die Lagerhallen leer wurden, beschloss die Belegschaftsversammlung am 2. März 2002 die Wiederaufnahme der Produktion in Eigenregie.
Wie funktioniert die Fabrik ohne BesitzerInnen seit damals?
Von Anfang an funktionierte es mit direkter ArbeiterInnendemokratie. Die gesamte Belegschaft organisierte sich in einer Art ArbeiterInnenrat mit einem/r KoordinatorIn für jede Abteilung, der von seinen KollegInnen gewählt wird und jederzeit abwählbar ist, und dann zwei oder drei GeneralkoordinatorInnen, die von der großen Versammlung gewählt werden.
Es gibt jeden Monat eine Versammlung von allen ArbeiterInnen, um alle wichtigen Entscheidungen zu treffen: Das betrifft wirtschaftliche und soziale Fragen, Fragen der Produktion, Fragen der Politik usw. Aber auch banale Sachen wie die länge unserer Mittagspausen entscheiden wir gemeinsam in der Versammlung. Dort gibt es volle Meinungs- und auch Tendenzfreiheit. Resolutionen werden mit einfacher Mehrheit angenommen.
Wie hat sich die Gewerkschaft im Laufe dieser Proteste verwandelt?
Unsere Gewerkschaft hat ihr Programm in Wirklichkeit schon vor Krise radikalisiert. Wir haben unsere Politik auf eine klare klassenkämpferische Basis gestellt: Für Einheit in den Reihen der ArbeiterInnenklasse, für die Festeinstellung aller KollegInnen mit befristeten Verträgen für gleichen Lohn für gleiche Arbeit usw.
Angesichts der aktuellen kapitalistischen Krise haben wir unser Programm nochmal vertieft: wir sagen ganz klar, dass die KapitalistInnen die Krise zahlen müssen. Wenn ein Unternehmen behauptet, unter den Folgen der Krise zu leiden, fordern wir die Öffnung der Geschäftsbücher der letzten Jahre. Und wenn die UnternehmerInnen sagen, dass sie das nicht machen können, dann sagen wir, dass sie gehen sollen und wir führen die Produktion unter ArbeiterInnenselbstverwaltung weiter.
Wie reagierte die Bevölkerung Neuquéns auf die Besetzung?
Eine wirklich revolutionäre Allianz entstand, die ein enormes Potential hatte, denn es vereinigte diejenigen, die immer durch die Regierungen, die UnternehmerInnen und die Gewerkschaftsbürokratie gespalten werden. In Neuquén bauten wir auf Initiative der KeramikarbeiterInnen-Gewerkschaft eine Regionale Koordinierung auf, die KeramikarbeiterInnen mit Arbeitslosen von verschiedenen Piquetero-Bewegungen, Beschäftigten im öffentlichen Gesundheitssektor, LehrerInnen, Studierenden und linken Parteien vereinigte. Bei jedem Räumungsversuch gab es große Mobilisierungen dagegen in der Stadt.
Diese Einheit bedeutete ganz konkret: als bei Zanon neue Arbeitsplätze geschaffen wurden – die Belegschaft ist von 271 zur Zeit der Besetzung auf 470 angewachsen –, gingen diese Jobs an arbeitslose KollegInnen von verschiedenen Piquetero-Bewegungen. Heute arbeiten diese KollegInnen bei uns als Wachschutz.
Gab es auch eine Zusammenarbeit mit den indigenen Völkern in der Region?
Auf jeden Fall. Damit zeigten wir, dass die Beziehungen unter ArbeiterInnen und Unterdrückten sich nicht nach der Ausbeutungslogik, sondern nach sozialen Kriterien gestalten. Wir respektieren die Rechte der indigenen Völker und wir unterstützen ihre Forderungen nach Anerkennung, ihre Kämpfe gegen die Ölkonzerne usw.
Als die meisten Zulieferer uns boykottierten und keine Rohmaterialien verkauften, die wir für die Herstellung von Keramik brauchten, setzte sich das Volk der Mapuche über seine Konföderation mit der Fabrik in Verbindung und stellte seine ländereien und seinen Ton zu Verfügung, damit wir weiterarbeiten konnten. Heutzutage haben wir eine Reihe von Keramikprodukten, die "Mapuche" heißt, in der die einzelnen Produkte nach den kämpferischsten Mapuche-Führern benannt sind.
In den Jahren 2001-02 gab es Hunderte besetzte Betriebe in Argentinien. Was machten die Zanon-Arbeiter im Rahmen dieser Bewegung?
Permanent arbeiteten wir dafür, eine Koordinierung von jedem Betrieb, der wiedererobert wurde oder noch im Kampf stand, hinzukriegen. Wir sind durch das gesamte Land gereist und mehrmals haben wir große, nationale Treffen organisiert. Doch auch die Regierung versuchte auf ihre Art, diese entstehende Bewegung zu vereinnahmen.
Von Zanon aus gaben wir die Parole aus: "Wenn sie einen angreifen, greifen sie alle an" und riefen alle Organisationen zur bedingungslosen Verteidigung von jedem besetzten Betrieb gegen jegliche Art von Räumung oder Repression auf. Wir forderten ein nationales Enteignungsgesetz, um alle ArbeiterInnenselbstverwaltungsprojekte zu legalisieren.
In Argentinien gibt es kaum noch wiedereroberte Betriebe. Warum hat Zanon überlebt, während viele andere Betriebe scheiterten?
Das hat verschiedene Gründe. Es gab eine sehr starke Politik der Regierung, um dieses kämpferische Phänomen kalt zu stellen. Sie gab tropfenweise Unterstützung für besetzte Betriebe, die ohnehin von ihren BesitzerInnen aufgegeben worden waren. Dem schlossen sich verschiedene Organisationen und AktivstInnen an, die im Laufe der Zeit sich der offiziellen, "kirchneristischen" [Anhänger vom ehemaligen Präsidenten Néstor Kirchner] Politik anpassten. (Das ist übrigens der gleiche Prozess der Vereinnahmung, den viele Piquetero-Organisationen, Volksversammlungen, Gewerkschaften und sogar Menschenrechtsorganisationen durchmachten.)
In unserem Fall gab es immer eine selbstbewusste ArbeiterInnenselbstverwaltung, die auf Klassenunabhängigkeit basierte. Unsere Politik war immer, die Zusammenarbeit mit anderen Sektoren, die sich im Kampf befanden, zu suchen. Wir wussten aber, dass keine ArbeiterInnenselbstverwaltung gut funktionieren kann, wenn es im Land Millionen Arbeitslose bzw. ArbeiterInnen mit miserablen löhnen gibt, wenn wir im Rahmen des kapitalistischen Marktes in Konkurrenz mit großen Konzernen stehen, die im Gegensatz zu uns über enorme Mengen von Kapital verfügen. Deswegen kämpften wir die ganze Zeit für die Enteignung der Fabrik und die Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle.
Vor wenigen Wochen hat das Parlament der Provinz Neuquén die Enteignung der Fabrik beschlossen. Wie kam das zu Stande?
In der Nacht zum 13. August beschloss das Parlament, die Fabrik zu enteignen und unserer Kooperative FaSinPat ["Fabrica Sin Patrones – Fabrik ohne Besitzer] zu übertragen. Am Nachmittag vor der Abstimmung haben über 3.000 Menschen zum Parlament demonstriert. Unter ihnen waren VertreterInnen kämpferischer Belegschaften aus dem ganzen Land, z.B. von der U-Bahn von Buenos Aires. Obwohl der patagonische Wind bis zu 60 km/h stark war, harrten Hunderte von uns bis in die frühen Morgenstunden vor dem Parlament aus, bis das Abstimmungsergebnis bekannt gegeben wurde.
Sind eure Forderungen also erfüllt?
Nicht ganz. Das Gesetz sieht vor, dass die Provinz 23 Millionen Pesos [etwa vier Millionen Euro] an die GläubigerInnen des ehemaligen Besitzers zahlt. Wir sind der Meinung, dass diese Schulden von der Familie Zanon gemacht wurden und nicht vom Staat übernommen werden sollen.
Die Enteignung ist nur eine Teillösung, aber eine, die uns erlaubt, weiter für unser endgültiges Ziel zu kämpfen, nämlich die Verstaatlichung der Fabrik. Zumindest ist jetzt mit den Räumungsversuchen und den legalen Problemen Schluss – in den letzten acht Jahren gab es fünf Versuche, uns mit Gewalt zu räumen.
Wir wollen, dass Zanon definitiv im Dienst der Bevölkerung steht. Aber dass erstmal einem Kapitalist wie Luigi Zanon das Eigentum weggenommen wurde, ist ein gigantischer Schritt.
Was sieht euer endgültiges Ziel aus?
Wir fordern die Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle, damit wir die Fabrik bei voller Kapazität betreiben und viele neue Arbeitsplätze schaffen können. Wir brauchen ein öffentliches Bauprogramm, denn allein in der Provinz Neuquén fehlen bis zu 40.000 Wohnungen. Eine verstaatlichte Keramikfabrik könnte ein wichtiger Teil der lösung dieses Problems sein.
Du bist Arbeiter bei Zanon und ein Führungsmitglied der Gewerkschaft, aber auch Mitglied der trotzkistischen „Partei der Sozialistischen Arbeiter“ (PTS). Welche Rolle spielte Eure Partei in diesem Kampf?
Ich glaube, dass die PTS eine fundamentale Rolle spielte. Viele Kämpfe gehen verloren, weil eine Perspektive und eine Strategie fehlen. Fundamental war, dass wir aus der historischen Erfahrung wussten, eine Reihe von zentralen Forderungen in den laufenden Kampf einzubringen: die Öffnung der Geschäftsbücher, die direkte Demokratie mit Strömungsfreiheit, die Besetzung und die Enteignung der Fabrik. Das gab uns nicht nur ein konkretes Programm, sondern auch einen organisatorischen Rahmen, um unseren Kampf im ganzen Land – bei verschiedenen Sektoren der ArbeiterInnenklasse und auf den Universitäten – bekannt zu machen und mit einem Streikfonds zu unterstützen. Unsere ArbeiterInnenselbstverwaltung ist nicht vom Himmel gefallen – wir stützten uns auf die Erfahrungen verschiedenster Kämpfe, sowohl Siege wie Niederlagen, von vielen Generationen, die im Laufe der letzten 200 Jahre ihre Leben für die Sache der ArbeiterInnen geopfert haben.
In den letzten Monaten haben wir eine Reihe von Fabrikbesetzungen in vielen ländern gesehen. Normalerweise dauern diese Aktionen nur einige Tage oder Wochen – aber es gibt auch Fälle, besonders in Frankreich, wo BesitzerInnen und ManagerInnen festgehalten werden. Welche Lehren bietet die Erfahrung von Zanon für diese Besetzungen?
Es ist eine gute Nachricht, dass ArbeiterInnen am Anfang einer neuen historischen Krise des Kapitalismus ihre Kampfmethoden radikalisieren, genauso wie die KapitalistInnen und die Regierungen dies tun: die Herrschenden radikalisieren ihre Methoden, und das bedeutet Millionen Arbeitslose und Hungernde, Millionen Entlassungen und Suspendierungen, Repression und Verfolgung gegen diejenige, die kämpfen. Die Methoden der Herrschenden radikalisieren sich auch in Form von Kriegen und Militäreinsätzen wie in Afghanistan, im Irak oder gegen die PalästinenserInnen. Solche Erscheinungen werden in den kommenden Jahren immer häufiger vorkommen.
Unsere Alternativen müssen wir auch radikalisieren, damit die KapitalistInnen die Krise ganz konkret bezahlen müssen: Geschäftsbücher müssen geöffnet werden, damit die ArbeiterInnen und die Bevölkerung sehen können, wie die Profite dieser Unternehmen in den letzten fünf Jahren aussahen. Fabriken, die schließen oder massiv Leute auf die Straße werfen, müssen enteignet und im Dienst der lokalen Bevölkerung in Gang gesetzt werden. Das ist aber nur ein Anfang: es geht auch um die Forderung nach einem öffentlichen Infrastrukturprogramm, um Wohnungen für obdachlose Familien zu schaffen. Wir müssen den vielen Plänen zur Rettung von Unternehmen eine klare Abfuhr erteilen, denn sie sind nichts anderes als Garantien für die Profite der KapitalistInnen.
Welche Bedeutung hat die Erfahrung der Zanon-ArbeiterInnen vor dem Hintergrund der kapitalistischen Krise?
Unsere Parole war immer: Wenn wir eine Fabrik betreiben können, können wir auch ein Land betreiben.
Diese neun Jahre des Kampfes haben all meine militanten Ìberzeugungen bestätigt. Ìber die 15 Jahre, die ich in dieser Fabrik arbeite, konnte ich die politische Entwicklung meiner KollegInnen beobachten.
Am Anfang war eine verallgemeinerte Apathie, ein fürchterlicher Korporativismus, eine "rette sich, wer kann"-Haltung, ein enormer Individualismus, und vor allem eine riesengroße Skepsis. Diese Stimmung hielt sich jahrelang, aufgrund von Schlägen vom Unternehmen, des Verrates der Gewerkschaftsbürokratie usw.
Doch sobald sich die Verhältnisse in der Fabrik änderten, änderte sich der Humor, der Lebensmut, die Moral – die gleichen ArbeiterInnen, die kurze Zeit davor wie Schafe wirkten, führten eine Kampfmaßnahme aus, die bis heute einen historischen Charakter hat.
Das lag aber nicht nur an der Dynamik des Kampfes: dafür war es notwendig, dass wir in jeder Versammlung, selbst in jeder Unterhaltung für eine revolutionäre Strategie argumentiert und gekämpft haben. Am Anfang haben die ArbeiterInnen es nicht verstanden – sie haben es ganz klar abgelehnt – aber in der Hitze der Krise und des Kampfes wurden dieses Programm und diese Strategie vollständig aufgenommen.
Dieses Bataillon von ArbeiterInnen hat ein Programm, das von mehreren Generationen von ArbeiterInnen in unzähligen Kämpfen herausgearbeitet wurde, in eine lebendige Realität verwandelt. Doch wir haben immer noch eine schwierige Aufgabe vor uns. Andere Sektoren müssen Schritte wie unsere machen. Also soll unsere Erfahrung weitervermittelt werden.
Aus meiner Sicht brauchen wir vor allem eine politische Führung der ArbeiterInnen – einen wirklichen Generalstab –, die für diese Perspektive in Argentinien und rund um die Welt kämpfen kann.
//Interview: Wladek Flakin, Revo Berlin