Warnstreiks der Lokführer
Vor dem größten Lokführerstreik der Geschichte 2.0?
26/02/2011 Den Lokführerstreik als Auftakt zum Stopp der Angriffe auf die Arbeit nutzen
Beim Streikauftakt der Lokführer fielen laut GDL innerhalb von zwei Stunden rund 80 Prozent der Züge der DB und vieler privater SPNV-Unternehmen aus bzw. sie verkehrten massiv verspätet. Am Freitag fielen ebenfalls mehr als 80 Prozent der Züge der Deutschen Bahn (DB) und der sechs großen Schienenpersonennahverkehrsunternehmen – G6 – (Abellio GmbH, Arriva Deutschland GmbH, BeNEX GmbH, Keolis Deutschland GmbH & Co. KG, Veolia Verkehr GmbH und die Unternehmen der Hessischen Landesbahnen) aus bzw. haben sich massiv verspätet. In den Großräumen Köln, Essen und Stuttgart kam der komplette Eisenbahnverkehr zum Erliegen. Als nächstes soll die Urabstimmung eingeleitet werden. Erst am 7. März werden die Ergebnisse der Auszählung mitgeteilt. Bis dahin werden wohl weitere Warnstreiks folgen. Die letzte Aktion hat gezeigt, dass die Lokführer bereit sind für ihre Forderungen den Kampf aufzunehmen. Dieser Kampf wird jedoch sehr hart werden. Wie beim letzten Streik wird die herrschende Klasse eine mediale Kriminalisierungs- und Verleumdungskampagne starten, um den Streik zu kriminalisieren. Staatsanwälte und Richter werden eingeschaltet, um den berechtigten Streik der Lokführer gerichtlich zu untersagen. Deshalb muss er unterstützt werden, damit er Erfolg hat, damit nicht nur die GDL KollegInnen sondern alle KollegInnen aller Bahn-Gewerkschaften den selben Tarifvertrag bekommen.
„Neues Bahnchaos droht“ sagt die BILD Zeitung, „Irrationaler Bahnstreik“ titelte die FAZ, „Droht der Dauerstreik 2.0? Bitte nicht schon wieder“, plädierte Spiegel Online. Die bürgerlichen Medien machen wieder einmal Stimmung gegen den Streik der Lokführer. Auch seitens der Regierung wird gehetzt: „Die Berufspendler dürfen nicht als Geiseln für Gewerkschaftskonkurrenzen herhalten“, sagte Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU). „Ich appelliere mit allem Nachdruck an die Verantwortlichen, sich nicht die Falschen zum Feind zu machen.“ Heute wie damals verbünden sich Kapitalisten und GDL-Konkurrenten gegen die Lokführer. Heute wie damals wird versucht, die Forderungen und den Kampf der Lokführer zu diskreditieren, ja sogar zu kriminalisieren.
Heute fordert die GDL (Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer) für rund 26.000 Lokführer im Fern-, Nah- und Güterverkehr ein einheitliches Einkommensniveau sowie einen Branchentarifvertrag. Darin soll ein einheitliches Entgeltniveau auf dem Niveau der DB als Marktführer vereinbart werden, bei dem Konzern fordert die GDL zudem ein Plus von fünf Prozent. Daneben verlangt sie besseren Schutz vor Arbeitsplatzverlust. Den im Januar zwischen der Eisenbahn- und der Verkehrsgewerkschaft (EVG), der Deutschen Bahn (DB) und den sechs größten privaten Eisenbahnunternehmen ausgehandelten Branchentarifvertrag lehnt die GDL als unzureichend ab. Die GDL fordert also einen Branchentarif, der den Bahnkonzern ebenso umfasst wie die privaten Unternehmen im Güter- und Personenverkehr. Es handelt es sich also nicht um einen defensiven sondern um einen offensiven Streik - wobei die Forderungen zum größten Teil ökonomischer Natur sind, die aber das Modell, auf dem der jetzige Aufschwung basiert, nämlich Leiharbeit und befristete Beschäftigung, kurz die Liberalisierung und Vertiefung der Fragmentierung des Arbeitsmarktes, indirekt in Frage stellen. Allein deshalb ist die Forderung der GDL nach einem Tarif für die vielen Bahnen, also die Angleichung der um bis zu 30% niedrigen löhne bei den Privatbahnen an das Niveau der Deutschen Bahn ein wichtiger Schritt gegen die Lohndumpingpolitik mit der die KollegInnen gegeneinander ausgespielt werden, nicht nur bei der Bahn. Ein Erfolg der Lokführer in diesem einen Punkt wäre ein Fanal für weitere Sektoren der Arbeiterschaft, die zwar nicht auf die Straße gelandet sind aber dafür den jetzigen Aufschwung mit einer weiteren Verelendung ihrer Arbeitsverhältnisse, wie die rasante Ausbreitung der Leiharbeit zeigt, bezahlt haben. Angesichts des vorübergehenden Aufschwungs des Exportsektors und durch einen erfolgreichen Kampf der Lokführer, der alles andere als einfach sein wird, könnten andere Sektoren der Arbeiterschaft für ihre eigenen Forderungen eintreten. Deshalb warnen schon jetzt Gewerkschaftsbürokraten der konkurrierenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG die Bahn davor, den GDL-Forderungen nachzugeben. „Wenn die Arbeitgeber der GDL einen besseren Abschluss als mit uns zugestehen, wird das weitreichende Konsequenzen haben“ (EVG-Vorsitzender Alexander Kirchner), denn danach würde man Nachverhandlungen fordern und gleiche Bedingungen verlangen (!).
Der Beschluss der Lokführer, ihre Forderungen mittels Warnstreiks zu durchsetzen und eventuell ihnen bis hinzu flächendeckenden Streiks Nachdruck zu verleihen ist insofern heikel für die herrschende Klasse, als dass die Lokführer dadurch das politische Klima für die Tarifrunden des Jahres 2011 belasten könnten. So deutet der Kampf der Lokomotivführer (wie die heftigen Attacken aus dem bürgerlichen Lager zeigen) auf das enorme Potential von diesem Schlüsselsektor der Arbeiterschaft für die kapitalistische Wirtschaft hin. Angesichts des schwindenden Konsens gegenüber den Maßnahmen der Bourgeoisie seitens größeren Teilen der Gesellschaft und die Schwächung der bürgerlich demokratischen Kontrollmechanismen und Institutionen, die sich beschleunigt seit der Wirtschaftskrise hat, könnte der Streik der Lokführer als Kanalisator einer angestauten Wut dienen. Die Wut der Lohnabhängigen, die Auswirkungen der Wirtschaftskrise am eigenen Leib spüren, die ihre Kaufkraft ständig schrumpfen sehen.
Jedoch werden die Erfolgsausausichten durch die letztendlich doch versöhnliche Politik der GDL-Führung geschmälert. GDL-Vorsitzender Claus Weselsky betont immer wieder, er werde „verantwortungsbewusst tun“. „Wir werden maßvoll mit unserer Macht umgehen“, sagte er, um zu signalisieren, dass die herrschende Klasse sich keine großen Sorgen machen müsse. Er droht zwar immer wieder mit flächendeckenden Streiks aber letztendlich, zeigt er doch „Verantwortungsbewusstsein“ wenn es ans Eingemachte geht: Die Ski-WM in Garmisch-Partenkirchen hat die GDL dazu bewogen, den Arbeitskampf um eine Woche zu verschieben. „Offenbar wurde Druck auf die Gewerkschaft in dieser Frage ausgeübt. Schließlich ist die Ski-WM eine wichtige Referenz für die Bewerbung Münchens für die Austragung der Olympischen Winterspiele 2018.“ (FR-Online, Streik erst nach der Ski-WM). Die GDL-Führung hätte sich da ein Beispiel an den bayrischen KollegInnen nehmen sollen, die während des Oktoberfestes streikten - ganz ohne Vorwarnung, was vom regierenden Münchner Oberbürgermeister Ude als „Anschlag“ auf die Wiesn bezeichnet wurde. Auch die Trennung, die Weselsky zwischen „Arbeitgeber“ und Kunden der DB zieht, zielt darauf, den Kampf zu beschränken, ihn als Druckmittel und nicht als Waffe anzusehen. „Wir bestreiken eigentlich den Arbeitgeber und nicht unsere Fahrgäste oder unsere Industriekunden“, sagte er in einem Interview. Somit entzieht er den KollegInnen eine mächtige Waffe, nämlich den Produktivprozess zu stören um den Forderungen Nachdruck zu verleihen. Indem die Strategie der GDL-Spitze sich ausschließlich gegen ihren eigenen „Arbeitgeber“ richtet und ausschließlich für die Interessen ihrer eigenen Mitglieder eintreten, spielen sie den Kapitalisten in die Hände. Indem der Streik vor erst ausschließlich auf den Personenverkehr beschränkt wird und nicht gleich auf den Güterverkehr ausgedehnt wird, sind die Aktionen eher symbolischer Natur, die die Gefahr bergen, einerseits die Bevölkerung gegen sich aufzuspielen (vor allem nach dem Winterchaos) und gleichzeitig den KollegInnen das Gefühl gibt, einen Streik gegen die Bevölkerung durchzuziehen, was natürlich zu Enttäuschung und Misstrauen gegenüber den eigenen Kampfmaßnahmen und deren Effektivität führen kann. Diese Politik der Gewerkschaftsspitzen laugt die Energie der Arbeiter aus, denn um sich selbst zu erhalten muss sie nur die Interessen der „eigenen“ Mitglieder vertreten. Anders gesagt, sie verhindert dadurch aktiv, dass sich die Arbeiter mit anderen Bahngewerkschaften (im Falle der Bahn) organisieren, statt den Kampf zu generalisieren und auszudehnen. Der Kampf der Lokführer soll über die ökonomischen Grenzen hinausgehen. Er soll zu einem bewusst politischen Kampf werden, der er auch ist. Der jetzige Konflikt richtet sich nicht nur gegen die DB und die übrigen Bahnanbieter sonder er richtet sich gegen die von den Regierenden (CDU-FDP heute, SPD-CDU gestern, SPD-Grüne vorgestern) getroffenen politischen Maßnahmen, die die Liberalisierung der Arbeit beschlossen haben.
Deshalb soll der Streik der Lokführer der GDL als Auftakt zu einem Kampf aller Bahnbeschäftigten für einen Tarifvertrag werden. Darüber hinaus sollten alle aktuell laufenden Tarifkonflikte gebündelt werden, um eine starke Front gegenüber der Angriffe seitens der Regierenden und der Bosse abzuwehren. Der Kampf der Lokführer für einen Tarifvertrag für aller soll zu einem Kampf aller Bahnmitarbeiter werden, unabhängig ihrer gewerkschaftlichen Zugehörigkeit, für einen Tarifvertrag aller Bahn-Mitarbeiter. Der Kampf der Lokführer soll mit dem Kampf der Telekombeschäftigten für mehr Gehalt und den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen verbunden werden, gegen Prekarisierung und für Arbeitssicherheit. Nicht irgendein Schicksal hat beschlossen, die Kämpfe nicht zu bündeln, sondern die Gewerkschaftsbürokraten. Was für eine mächtige Front würden die KollegInnen der Bahn und der Telekom zustande bringen, wenn sie nur ihre jeweiligen Kämpfe zusammenführen würden!
Für die Avantgardesektoren in den Betrieben und an der Universität besteht die Aufgabe heute darin, neben der Unterstützung der von den Lokführern beschlossenen Maßnahmen, auch jenen Sektoren der Arbeiterschaft, die immer noch große Illusionen in die Gewerkschaftsführungen haben, dabei zu helfen, sich von ihren Illusionen zu verabschieden. Dies kann durch das Aufstellen von Forderungen erreicht werden, die darauf abzielen sollten, die Kämpfe der verschiedenen Branchen zusammenzuführen, die zu einer großen Bewegung und in einen Aufruf zum Generalstreik münden sollten, entgegen der von den Gewerkschaftsführungen provozierten Isolierung und nicht Zusammenzuführung der Arbeiterkämpfe. Auf der Grundlage eines klar kämpferischen und antibürokratischen Programms kann unter Avantgardesektoren in den Betrieben eine klare Perspektive entstehen, um einen Gegenpol gegenüber den Kapitalisten versöhnlichen Führungen zu bilden.
Die Lokomotivführer wollen für ihr Anliegen kämpfen. Unterstützen wir sie, denn ihr Anliegen ist unser aller Anliegen.
– Unbefristeter Streik bis zur Erfüllung der gestellten Forderungen!
– Für Streik- und Solidaritätskomitees zur Unterstützung des Lokführerstreiks!
– Aktive Verhinderung von Streikbruch!
– Für einen Tarifvertrag für ALLE KollegInnen aller Bahn-Gewerkschaften
– Rücknahme der Preiserhöhungen bei der Bahn! Kostenloser Nahverkehr!
– Gegen Leiharbeit, Lohndumping und befristete Beschäftigung!
– Die Bosse sollen für die Krise bei der Bahn, für die Krise ihres Kapitalismus zahlen!