FT-CI

Für den Sieg Kobanês gegen die Offensive des IS!

09/11/2014

Für den Sieg Kobanês gegen die Offensive des IS!

Nieder mit der Intervention des Imperialismus und seiner Verbündeten in Syrien und im Irak!

Nieder mit dem blutrünstigen Assad-Regime!
Nieder mit dem Marionettenregime in Bagdad!
Für ein vereinigtes und unabhängiges sozialistisches Kurdistan!


Erklärung der FT in Europa (CCR, CCC, RIO), 1. November 2014

IS: Reaktionäres Monstrum, geschaffen vom Imperialismus

1. Seit diesem Sommer hat sich die Situation in Syrien und dem Irak dramatisch geändert. Die Organisation „Islamischer Staat im Irak und der Levante“ (ISIL, kurz IS, auf Arabisch Daesh), entstanden aus Al-Qaida und bewaffneten Gruppen reaktionärer Sunniten in Syrien, hat gewaltig an Bedeutung gewonnen. Sie stärkte sich durch den Anschluss von Teilen der sunnitisch-irakischen Armee, von sunnitischen Stämmen, die durch die pro-schiitische Herrschaft in Bagdad unter dem Schutz der USA marginalisiert wurden und durch ehemalige Offiziere des früheren baathistischen Regimes von Saddam Hussein. Vor dem Hintergrund des syrischen BürgerInnenkriegs, der verschiedene Fraktionen der Bourgeoisie von Damaskus in Opposition zueinander brachte und im Rahmen des ständig schwelenden BürgerInnenkrieges im Irak, auf sozialer und religiöser Ebene, gelang dem IS rasch ein Durchbruch in Nordsyrien und dem Irak. Diese Offensive ist sowohl ein Symptom der vollständigen Hilflosigkeit des aktuellen irakischen Marionettenregimes, das 2006 von Washington eingesetzt wurde, als auch einer beachtlichen Verschiebung der Bündnisse im syrischen BürgerInnenkrieg. Der IS wurde von den ImperialistInnen einst gegen das Regime von Al-Assad geduldet und von den Golfmonarchien und der Türkei bewaffnet und beschützt, ähnlich wie Al-Qaida in Afghanistan Ende der 1990er Jahre. Heute verteidigt er seine eigene Politik, unabhängig von seinen früheren Förderern, um einen religiösen Staat zu errichten.

2. Im Grad der Barbarei konkurriert der IS mit den schiitischen Milizen Bagdads. Er begann einen Krieg der ethno-religiösen Säuberungen gegen die Minderheiten im Nordosten Iraks. Der IS profitierte von der Schwäche der irakischen Institutionen und Armee. So konnte er verschiedene Provinzen des Landes unter seine Kontrolle bringen. Um in Syrien die Verbindung zur türkischen Grenze herzustellen, von der aus Waren und Waffen auf syrisches und irakisches Territorium gelangen und über die Öl aus den von IS kontrollierten Ölfeldern transportiert werden soll, begann der IS mit der Eroberung der kurdisch-syrischen Gebiete. Diese werden seit 2012 de facto von der Partei der Demokratischen Union (PYD) kontrolliert, seitdem sich die Streitkräfte Damaskus’ aus dieser Zone zurückgezogen haben, um sich militärisch auf andere Frontabschnitte zu konzentrieren, an denen sie gegen die Freie Syrische Armee oder andere islamistische Kräfte eingesetzt wurden. Ein Teil des kurdischen Gebietes in Syrien fiel an die Dschihadisten und seit einigen Wochen steht Kobanê, eine der wichtigsten Städte des autonomen syrischen Kurdistans (Rojava) unter dem Feuer der IS-Offensive. Aus dem bedrohten Kobanê, das im Zentrum intensiver Kämpfe steht, sind 300.000 mehrheitlich kurdische BewohnerInnen in Richtung der türkischen Grenze geflohen. Trotz des heroischen Widerstands der Volksverteidigungseinheiten (YPG/YPJ) halten die Dschihadisten seit mehreren Wochen ihre Belagerung aufrecht. Eine Tage lang hielten sie eroberte Stadtviertel, aus denen sie wieder zurückgedrängt wurden. IS ist aber nicht besiegt und die Stadt bleibt weiter bedroht.

Gründe für die Intervention der US-geführten Koalition und die Position der Türkei

3. Anfang August begann Washington gemeinsam mit seinen imperialistischen Verbündeten, mehreren regionale Ölmonarchien und in letzter Zeit mit der (widerwilligen) Türkei Erdogans eine neue Intervention im Irak. Die USA wurden alarmiert durch die Aussicht eines möglichen Falls von Bagdad in die Hände der Dschihadisten und einer eventuellen Eroberung des irakischen Kurdistans, das einen autonomen Staat unter Vormundschaft des Imperialismus und seiner Ölkonzerne darstellt. Die barbarischen Ìbergriffe des IS helfen rhetorisch bei der öffentlichen Legitimation der „zivilisierten“ Grausamkeit von Luftangriffen. Angesichts der Flucht der regulären irakischen Truppen – Ebenbild des Bagdader Marionettenregimes, von inneren Rivalitäten zerfressen und geschwächt – konnten die ImperialistInnen nur durch Luftschläge und die Bewaffnung der irakisch-kurdischen Truppen des nordirakischen Präsidenten Masud Barzani, Handlanger der USA und der Ölkonzerne, den Vormarsch des IS stoppen.

In Syrien dagegen wird eine ganz andere Musik gespielt. Rojava, das syrische Kurdistan, hat im Gegensatz zum irakischen Teil Kurdistans, seine Autonomie nicht im Gegenzug für die Verwandlung in einen loyalen Verbündeten des Westens eingelöst, wie die Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) von Barzani und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) von Jalal Talabani. Nach dem ersten Golfkrieg und den Massakern von Husseins Truppen im Norden des Landes, erlaubte die USA unter Deckung der von der UNO dekretierten Flugverbotszone eine Art kurdischer Autonomieregion im Irak. Die PYD, die der Kurdischen ArbeiterInnenpartei (PKK) nahe steht, hatte lange Zeit ein ambivalentes Verhältnis zum Regime von Al-Assad, der bis 1998 Öcalan in Schutz genommen hatte. Doch dank der Dynamik des arabischen Frühlings konnte die PYD de facto die Autonomie der kurdisch-syrischen Region erobern. In einer ersten Phase reihte sie sich in den Aufstand ein, der zu Beginn durch eine Massenrebellion gegen Assad charakterisiert war, in einer zweiten Phase profitierte sie vom Rückzug der Assad-loyalen Truppen, deren Kapazitäten nicht zur Aufrechterhaltung einer militärische Front im Norden gegen die KurdInnen ausreichten. Damaskus wusste auch, dass ein autonomes syrisches Kurdistan ein Dorn im Auge Ankaras sein würde, einem der Hauptunterstützer der syrischen Rebellen, ob „moderat“ oder islamistisch. Denn die türkische Regierung kämpft seit Jahrzehnten mit „ihrem eigenen“ kurdischen Problem, indem sie das Recht auf Selbstbestimmung des Südostens des Landes kategorisch verweigert und die kurdische Bewegung gewaltsam unterdrückt, obwohl Ende 2011 offizielle Verhandlungen mit der PKK aufgenommen wurden.

4. In dieser Situation haben die ImperialistInnen, die so schnell wie möglich die Stellungen des IS im Irak zerstört haben, es lange Zeit sorgfältig vermieden die Vorposten der IS-Kämpfer im syrischen Kurdistan zu bombardieren. Mehrere Wochen lang sahen die von den USA angeführten imperialistischen Streitkräfte von weitem dem Ansturm auf Kobanê, bombardierten nur einige nicht-strategische Positionen wie Getreidelager oder Raffinerien und setzten darauf, dass die Knappheit von Nahrung und Treibstoff im herannahenden Winter zur Abwendung sunnitischer Sektoren von IS führen würde. Erst am 22. Oktober wurden einige Tonnen Waffen über der Stadt abgeworfen, um den Widerstand zu erleichtern – nach Verhandlungen mit der PYD-Führung, die den regionalen Status Quo nicht antasten wird und mit einer friedlichen Koexistenz mit dem Imperialismus kompatibel ist. Außerdem wurde ein YPG-Kommandant in den Generalstab der US-geführten Koalition aufgenommen. Ein Grund für die Änderung in den US-Unterstützungen ist auch der öffentlich gewordene Widerspruch zwischen der Unterstützung der prowestlichen KDP und PUK einerseits und dem Boykott der PYD und PKK andererseits – trotz deren Willen, eine Anerkennung zu verhandeln. Die Verteidigung der Stadt Kobanê bleibt nichtsdestotrotz hauptsächlich in den Händen der YPG/YPJ und ihren heroischen KämpferInnen. Trotz ihrer schlechten Ausrüstung zeigen sie im Vergleich zu den auseinandergetriebenen Truppen der proimperialistischen irakischen Armee, dass sich eine Kriegspartei mit der absolut legitimen Perspektive des Rechts der Aufrechterhaltung der Autonomie Rojavas gegen den Ansturm der IS-Milizen verteidigen kann, wenn sie die Unterstützung der gesamten Bevölkerung hat. Die IS-Truppen verfügt über schwere Waffen, die sie sowohl von den irakischen und syrischen Streitkräften übernommen haben, die aber auch durch die Türkei beliefert werden – bis vor kurzem mit Duldung durch die USA.

Was die ImperialistInnen heute befürchten, ist nicht, dass eine entschlossene Intervention ihrerseits in Syrien Al-Assad hilft. Was sie abschreckt, ist der erfolgreiche Widerstand von YPG/YPG, die sie im Gegensatz zu den Truppen der irakischen KurdInnen der KDP nicht komplett kontrollieren. Die Selbstverteidigungskräfte könnten damit für das Recht der KurdInnen auf Selbstbestimmung und auf ihren eigenen Staat verteidigen, was ihnen seit der Zerstörung des osmanischen Reiches und dem Vertrag von Lausanne 1923, der die reaktionäre Teilung Kurdistans durch die ImperialistInnen besiegelte, verweigert wird. Ein solches Szenario – eine Art progressiver Krieg im Rahmen eines reaktionären Kriegs, in welchem weder Assad, noch die Regierung in Bagdad, noch die sunnitischen Milizen, noch die „moderate syrische Opposition“, noch die Peshmerga der KDP und noch viel weniger die ImperialistInnen eine progressive Alternative repräsentieren – könnte die Frage der kurdischen Befreiung gegen Ankara im Norden und Bagdad im Osten, zwei wichtige Verbündete Regime der ImperialistInnen, neu aufwerfen. In einer Situation, die vor allem von einem reaktionären Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den ImperialistInnen und dem IS geprägt ist, könnte ein siegreicher Widerstand in Rojava eine progressive Dynamik sowohl in Bezug auf die kurdische Frage in der Region – in der Türkei, aber auch im Iran und Irak – als auch in Bezug auf den „arabischen Frühling“ insgesamt und die Opposition gegen Erdogan in der Türkei erschaffen (auch wenn die islamisch-konservative AKP die Situation durch ihre Stärkung bei der Wahl nach der Taksim-Bewegung und dem Soma-Massaker stabilisieren konnte). Daher wollen die ImperialistInnen die Kräfte des IS in Kobanê neutralisieren, einige Waffen liefern und die Führung der PYD ihren Plänen unterwerfen, wie sie es schon mit der KDP und der PUK im Irak gemacht haben.

Die Position der türkischen Regierung ist noch skandalöser und heuchlerischer. In der Türkei hatte der kemalistische Staat alles getan, um die kurdische Nationalbewegung zu ersticken, sowohl ihre sprachlichen und kulturellen Ausdrücke als auch die politischen. Insbesondere das führte zum BürgerInnenkrieg, den die türkische Armee vorantreibt, wo sie als Besatzungsarmee in den kurdischen Provinzen im Südosten des Landes agiert und wo zehntausende Menschen in den letzten vierzig Jahren starben. Im Jahr 2003 war die Türkei angesichts der Invasion Iraks durch die amerikanisch-britische Koalition bereit, militärisch in den gesamten Norden des benachbarten Irak einzumarschieren, um zu verhindern, dass das irakische Kurdistan seine Autonomie stärkt, die es seit 1991 genoss. Washington überzeugte Ankara mit einer außerordentlichen Finanzhilfe von 14 Milliarden Dollar vom Gegenteil. In einem zweiten Moment sahen Sektoren der türkischen Bourgeoisie, dass sie im irakischen Kurdistan Geschäfte machen konnten, wo die türkischen KapitalistInnen jetzt einen Großteil des Handels und des Transportsektors kontrollieren. Das stieß eine Fraktion der AKP dazu, geheime Friedensverhandlungen mit der PKK Öcalans zu beginnen, um die kurdische Frage in der Türkei in einer reaktionären Art und Weise zu „lösen“, ohne jedoch die Repression zu beenden. Die Situation heute in Rojava zeigt hingegen sowohl für die AKP als auch für die türkische Armee und die türkischen Geheimdienste, deren Interessen sich nicht systematisch gleichen, dass die Perspektive eines autonomen oder unabhängigen Kurdistan im benachbarten Syrien, selbst in geteilter Form, für sie gefährlich werden könnte. Das erklärt, warum die Türkei – neben der historischen Rivalität zwischen Ankara und Damaskus – IS bewaffnet und beschützt hat, da sie in der PYD die Hauptgefahr für ihre eigene Stabilität sah. Es erklärt auch, warum die Türkei sich heute weigert, enger mit der Koalition zusammenzuarbeiten, indem sie die Nutzung der Basis in Incirlik durch US-amerikanische Jagdflugzeuge verwehrt und den Transfer von 150 kurdisch-irakischen Peshmerga erschwert, die von Washington die Erlaubnis bekommen haben, die Grenze zu überqueren und die YPG/YPJ in Kobanê zu unterstützen. Von dieser Seite aus ist die kriminelle Politik Ankaras zu verstehen, die zum ersten Mal seit Monaten PKK-Positionen an der türkisch-irakischen Grenze bombardiert hat und die Grenzüberquerung kurdischer KämpferInnen und Waffen nach Kobanê verhindert. Auf diese Weise zeigt die türkische Regierung klar, dass sie mit allen nötigen Mitteln verhindern wird, dass der Kampf um Kobanê sich zu einem Kampf für ein vereinigtes Kurdistan ausweitet. Der letzte Beweis dafür ist der Wille Erdogans, an der türkisch-syrischen Grenze auf dem Territorium Rojavas „Pufferzonen“ einzurichten. Diese Option, die nach dem Besuch des türkischen Präsidenten in Paris am 30. Oktober in „befreite Zonen“ umgetauft wurde und die Unterstützung der französischen Regierung fand, wäre wie der Sieg des IS eine Niederlage für die KurdInnen. Auch die deutsche Regierung unterstützt die kriminelle Politik Erdogans: Seit Januar 2013 sind zwei deutsche Raketensysteme an der türkisch-syrischen Grenze stationiert. Seit Jahrzehnten verfolgt die deutsche Regierung kurdische Organisationen wie die PKK als „TerroristInnen“ (wie auch Frankreich, die USA und andere länder). Diese Politik, die zudem der türkischen Regierung eine Rechtfertigung für ihren inneren Krieg gegen die kurdische Bewegung gibt, ist eine der größten Hindernisse für den Sieg des kurdischen Widerstands heute in Rojava, denn die Kriminalisierung der kurdischen Organisationen in Europa erschwert jegliche materielle Hilfe, die unabhängig von den imperialistischen Interessen wäre. Deshalb ist eine der grundlegendsten Aufgaben für RevolutionärInnen in Europa in Solidarität mit der kurdischen Befreiungsbewegung der Kampf für die Entkriminalisierung aller kurdischen Organisationen und Parteien, beginnend mit der PKK.

Nieder mit der imperialistischen Intervention!

5. Die ImperialistInnen sind die Hauptverantwortlichen für die Situation in der Region, nach zwei Golfkriegen und einem Jahrhundert des Kolonialismus und Imperialismus. Geschichtlich gesehen haben sie die ethno-religiöse Spaltung geschürt, die sie nach 2003 nochmals verstärkt haben. Eine neue Intervention wird deshalb der Bevölkerung nicht helfen, die heute in einer noch katastrophaleren Situation lebt als in der Epoche des Embargos gegen irakisches Öl zwischen den beiden Golfkriegen.
Ihnen gegenüber steht der IS, der nichts weiter als eine monströse Neuauflage von Al-Qaida ist. Bin Laden, auch ein ehemaliger Verbündeter der USA in ihrem Krieg gegen die Sowjetunion in Afghanistan, glaubte, dass es möglich sei, sich gegen seine früheren Förderer zu wenden. So sehr der IS auch Unterstützung durch Sektoren der sunnitischen Bevölkerung in Syrien und im Irak besitzt, weil er sich einen Diskurs der besseren Verteilung der Reichtümer zu Nutze macht, die Korruption der Regierungen denunziert und von der Marginalisierung der SunnitInnen sowohl im Irak als auch in Syrien profitiert, ist der IS dennoch keine Kraft des Widerstands. Anstatt die nationalen Kräfte gegen die Besatzung der ImperialistInnen und seiner korrumpierten Marionetten zu einigen, spaltet er die Bevölkerung noch weiter, zur Freude des Imperialismus.

Dieser beidseitig reaktionäre Konflikt, in dem die Bevölkerung das Opfer ist, wirft die KurdInnen in eine asymmetrische Position zwischen dem Imperialismus, seinen lokalen Verbündeten und dem irakischen Staat auf der einen und dem IS auf der anderen Seite. Die einzige progressive Tendenz, die diese Situation umkehren kann, kann aus dem Sieg des syrisch-kurdischen Widerstandes hervorgehen. Ein solcher Sieg wird weder durch die Unterstützung der ImperialistInnen und noch weniger durch eine Bodeninvasion von Seiten Ankaras, welches jede Idee eines autonomen Rojavas von der Karte löschen will, zustande kommen.

Die reformistische Linke, die die Entsendung imperialistischer Truppen fordern – so 14 Abgeordnete der Linkspartei in Deutschland oder ein großer Teil der kurdischen Organisationen in Europa –, „um die Barbarei des IS zu stoppen“, ergeben sich völlig der Illusion einer „humanitären Intervention“ des Imperialismus, als ob eine Intervention von Seiten der gleichen Kräfte, die erst vor zehn Jahren die ganze Region zerstört haben, ohne politischen Preis zu haben wäre. Die Lektion, dass die Unabhängigkeit vom Imperialismus die unbedingte Voraussetzung für einen progressiven Ausweg ist, haben die letzten zwei Jahre des „arabischen Frühlings“ erteilt. Ohne einen definitiven Rauswurf des Imperialismus, ohne eine Niederlage seiner lokalen Verbündeten, können die Minimalforderungen nicht erfüllt werden, die von den arabischen Massen seit 2011 erhoben wurden. Das gilt sowohl für Tunesien, wo die ehemaligen Ben-Ali-Kräfte wieder an der Macht sind, als auch für Ägypten, nachdem die Macht des Militärs wiederhergestellt wurde, als auch für Libyen, wo ein offener BürgerInnenkrieg stattfindet. Die UnterstützerInnen des libyschen Nationalen Ìbergangsrats und der Intervention der NATO als angebliche lösung gegen die Massaker der pro-Gaddafi-Kräfte fordern nun die gleiche Scheinlösung für Syrien.

Zudem dient die Debatte um eine „humanitäre Intervention“ in Rojava heute – ähnlich denen zur Militärintervention im Irak ab 2003 – einer neuen Stufe der Legitimierung der militärischen Ambitionen der europäischen Imperialismen, vor allem des deutschen, der die Diskussion über Waffenlieferungen nutzt, um neue Finanzmittel für die Aufrüstung der deutschen Armee zu rechtfertigen und um die Regierung an zukünftige Militärinterventionen zu gewöhnen. Nicht zu vergessen ist auch, dass in der Diskussion um die „Barbarei des IS“ viele PolitikerInnen eine „neue Gefahr des Salafismus“ in Europa ausmachen und so die steigende Islamophobie zur Durchsetzung neuer repressiver Gesetze nutzen, während die deutschen Neonazis mit einem „anti-salafistischen“ Diskurs an Boden gewinnen, wie vor gut einer Woche in Köln bei einem Aufmarsch von 4.000 faschistischen „Hooligans“.

Ein Sieg gegen IS kann nur durch die Vereinigung des kurdischen Widerstands und der Massen gegen die Gesamtheit aller reaktionären Mächte in der Region zustande kommen, seien sie Verbündete des Imperialismus oder nicht, insbesondere gegen die türkische Regierung, aber genauso gegen die aktuelle irakische Regierung, die von der KDP unterstützt wird. Ein solcher Sieg wäre nicht nur ein wirklicher Schritt für das Recht auf Selbstbestimmung aller Menschen in der Region gegen die imperialistische Besatzung und die mit ihnen verbündeten Regime, sondern auch Antrieb für einen Neustart des „arabischen Frühlings“, der sich seit der imperialistischen Intervention in Libyen, der Konterrevolution des Militärs in Ägypten und der Entstehung des BürgerInnenkrieges aus der Revolte gegen Assad in Syrien auf dem Rückzug befindet. Das würde bedeuten, wirklich für die arabische Einheit gegen den Imperialismus zu kämpfen, im Respekt vor Minderheiten, als einzige Alternative zum reaktionären sunnitischen Panarabismus, des Kalifats der IS, und für echte soziale Gerechtigkeit, für die die ägyptischen, tunesischen und arabischen Massen auf die Straßen gingen. Dies widerspricht der Rede von einer gerechteren Verteilung des Reichtums, die der IS ins Feld führt, um die korrumpierten und gegenüber dem Imperialismus unterwürfigen arabischen Regime zu kritisieren.

Waffen und Programm: Die Triebfedern des Sieges in Rojava

6. Der kurdische Widerstand braucht Waffen, um zu kämpfen und zu siegen, aber vor allem braucht er ein Programm, das sowohl dem IS als auch dem Assad-Regime seine soziale Basis entreißt.

Bisher haben die KämpferInnen der YPG/YPJ trotz ihrer spärlichen Bewaffnung heroisch gekämpft und Widerstand geleistet, ganz anders als die korrupte Bagdader Armee und ihre Verbündeten, die vor der IS-Offensive im Sommer flohen. In der radikalen Linken in Europa gibt den Vorschlag, vom Imperialismus Waffenlieferungen zu verlangen, so die dänische Rot-Grüne Einheitsliste, die der Teilnahme Kopenhagens an der imperialistischen Koalition zustimmte. RevolutionärInnen können sich zwar nicht den – bisher geringen – Waffenlieferungen an die KämpferInnen in Kobanê durch die westlichen Mächte entgegenstellen. Aber diese Waffenlieferungen dürfen keinesfalls an den Willen der Koalition geknüpft sein, den kurdischen Widerstand politisch zu kontrollieren. Außerdem bedeutet die Forderung an Frankreich oder Großbritannien, die ehemalige Kolonialmächte in der Region und aktuell Teilnehmer an der bewaffneten Intervention sind, im besten Fall zu glauben, dass diese imperialistischen Mächte ihre Natur geändert hätten. Im schlimmsten Fall bedeutet diese Forderung, ihr Handeln in der Region zu vertuschen, welches fundamental konterrevolutionär ist und keinesfalls taktisch mit den historischen Interessen der kurdischen Bewegung übereinstimmen kann. Die notwendigen Waffen zur Weiterführung des Widerstands müsste die europäische und türkische ArbeiterInnenbewegung bereitstellen. Sie müssen sich der Kriegstreiberei ihrer Regierungen mit allen Mitteln entgegenstellen, das Ende der Verfolgung der kurdischen Organisationen als „terroristisch“, allen voran der PKK, fordern. Im Türkischen Staat müssen Fraktionen in der türkischen Gewerkschaftsbewegung entwickelt werden, die für einen Generalstreik gegen die Komplizenschaft Erdogans mit dem IS und für die Öffnung der Grenze nach Rojava kämpfen.

Aber damit Rojava siegreich ist und sich einen Schützengraben im Kampf gegen den Imperialismus, die islamistische Reaktion und die diktatorischen Regime der Region verwandelt, muss sich der kurdische Widerstand ein Programm geben. Dieses Programm kann nicht in der Verteidigung des „demokratischen Konföderalismus“ bestehen, der in Rojava von der PYD etabliert wurde. Dieses Modell wird von der europäischen Linken idealisiert, wäre es eine Art „selbstverwalteter Wirtschaft und Regierung“. Doch die Eigentumsverhältnisse wurden in Westkurdistan nicht angetastet. Es besteht keine tatsächliche Demokratie von unten. Das Ziel von PYD wie PKK ist die Anerkennung seitens der internationalen Gemeinschaft, d.h. des Imperialismus – im Gegenzug müsste eine etwaige Fragmentierung Kurdistans akzeptiert werden. Die 2005 offiziell angenommene Linie des „demokratischen Konföderalismus“ enthält einige Kontinuität mit dem sogenannten „Marxismus-Leninismus“, den sowohl PKK als auch PYD offiziell vertraten: den Gradualismus und den Etappismus des revolutionären Prozesses. In Kurdistan bedeutet das, die Idee zu vertreten, dass der Kampf um die nationale Befreiung in einer Allianz mit den lokalen Bourgeoisien (oder sogar mit dem Imperialismus) geführt werden muss, und darauf zu verzichten, ein Programm der Enteignung des Privateigentums zu erheben. Aber wenn die Geschichte der nationalen Befreiungsbewegungen uns eines gelehrt hat, ist es, dass der Kampf gegen den Imperialismus und seine Vasallen nicht mit einem Programm der „demokratischen Revolution“ enden darf, wenn er nicht in einem bloßen Austausch von Fraktionen der herrschenden Klasse und einer neuen Art der Unterwerfung unter die imperialistischen Interessen enden soll. Weder die PYD noch die PKK, und noch weniger die KDP oder die PUK, sind bereit, diesen Kampf bis zum Ende zu führen. Aber wie der Prozess des „arabischen Frühlings“ erst kürzlich zeigte, bekommt ein Kampf, der auf halbem Wege stehen bleibt, letztendlich eine konterrevolutionäre Wendung. Es ist daher entscheidend zu verstehen, dass die Verteidigung Rojavas nicht mit einem militärischen Sieg gegen den IS endet, sondern dass der Kampf nicht gewonnen werden kann ohne ein Programm, das den Kampf gegen IS mit einem Programm der permanenten Revolution verbindet, das den Rauswurf des Imperialismus und seiner lokalen Vasallen, die Enteignung des Privateigentums an Produktionsmitteln und die Perspektive eines vereinigten und unabhängigen sozialistischen Kurdistans aufwirft.

Um Rojava zu verteidigen, ist es notwendig, dass der kurdische Widerstand sich zum einzigen Verteidiger der unterdrückten syrischen Massen – unabhängig von ihrer Herkunft –, der armen Bäuerinnen und Bauern – denen ihr Land vom Assad-Makhluf-Klan entrissen wurde –, und der Gesamtheit der armen syrischen Massen – die die ersten Opfer der Wirtschaftsliberalisierung seit Ende der 90er Jahre waren – aufschwingt. Um Rojava zu verteidigen, ist es notwendig, dass der kurdische Widerstand sich an die ArbeiterInnenklasse im Türkischen Staat wendet, um die Belagerung zu durchbrechen, die Erdogan durchsetzt, indem er aufzeigt, dass die türkischen und kurdischen ArbeiterInnen und Massen die gleichen Interessen haben. Das bedeutet, der kurdische Widerstand muss ein Programm verteidigen, das sich von dem der PKK-Führung unterscheidet, die mit Ankara einen „politischen Ìbergang“ mit einer größeren Autonomie des Südostens des Türkischen Staats verhandeln will.
Von Europa aus müssen RevolutionärInnen die ersten sein, die in der ArbeiterInnenbewegung und in der Jugend ein antiimperialistisches und antikapitalistisches Programm mit der Perspektive eines vereinten und sozialistischen Kurdistans als Teil einer Föderation Sozialistischer Staaten des Nahen und Mittleren Ostens verteidigen. Das heißt, sie müssen sich der aktuellen imperialistischen Intervention entgegenstellen, trotz ihrer „humanitären“ Verschleierung, genauso wie allen repressiven Maßnahmen gegen die kurdische Bewegung in Europa seit Mitte der 80er Jahre, wie der Kriminalisierung der PKK. Gleichzeitig müssen wir uns – trotz unserer politischen Unterschiede mit der PYD und der PKK – radikal im militärischen Lager des kurdischen Widerstands positionieren, das heißt alle Solidaritätskampagnen unterstützen, die den Widerstand aufrechterhalten, auch militärisch – vorausgesetzt, dass sie aus den imperialistischen Mächten keine taktischen Verbündeten der kurdischen KämpferInnen machen oder sogar letztlich als Strohmann der imperialistischen Politik in der Region enden, wie es seit den 90er Jahren mit der KDP und der PUK der Fall ist. Die imperialistische Intervention, die heute keinen klaren strategischen Plan hat, könnte Monate oder sogar Jahre dauern. Die kämpferische ArbeiterInnenbewegung, die Basisgewerkschaften, die Anti-Kriegs-Bewegung, die Solidaritätsbewegung für Palästina und die Jugend haben die Pflicht, jedes reine Lagerdenken zu vermeiden. Sie dürfen erst recht nicht den Luftangriffen im Namen der Solidarität mit der kurdischen Bevölkerung hinterherlaufen. Die europäische radikale Linke muss auf diese Herausforderung antworten, vor allem wenn sie sich in ein effektives Instrument gegen die interne Offensive verwandeln soll, die unsere Regierungen – die gleichen, die Irak und Syrien bombardieren – gegen uns führen.

Für die Verteidigung von Kobanê und ganz Westkurdistan! Es lebe der Widerstand der kurdischen KämpferInnen von Rojava gegen den IS!

Nieder mit der imperialistischen Intervention im Irak und Syrien!

Für die Aufnahme aller Geflüchteten aus dem Nahen Osten in den imperialistischen Zentren!

Nieder mit der Komplizenschaft der türkischen Regierung mit dem IS und ihren Bombardements gegen die Positionen der PKK!

Nieder mit der Repression gegen die europäischen KurdInnen, die in Solidarität mit ihren kämpfenden Brüdern und Schwestern demonstrieren!

Für die Streichung von allen Organisationen des kurdischen Volkes von den „Terrorlisten“, beginnend mit der PKK!

Freiheit für Abdullah Öcalan, Gefangener in einem türkischen

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