Frankreich: 2. Kongress der NPA
Politische lähmung und strategische Krise
21/02/2011
17. Februar 2011
Der Kongress der Neuen Antikapitalistischen Partei Frankreichs (NPA), der letztes Wochenende im Pariser Vorort Montreuil abgehalten wurde, endete in einem tosenden Desaster. Keiner der aufgestellten Wahlplattformen konnte eine Mehrheit erlangen. Die ausscheidende Mehrheit – der die öffentliche Figur Olivier Besancenot und historisch bekannte Führer wie Alain Krivine angehören – erlangte gerade einmal 41,8% der Stimmen auf ihren Text zur Zielsetzung der Partei. Es war aufgrund der großen Unstimmigkeiten zwischen den Plattformen noch nicht einmal möglich, dazu eine gemeinsame Erklärung des Kongresses zu verabschieden: Die Plattform 3 (PF3) oder auch „Einheitsplattform“, die ein Verfechter von Ìbereinkommen um jeden Preis mit den Reformisten ist, also der Partie de Gauche (PG, französische Linkspartei) von Jean-Luc Melénchon, ex-Minister der sozialdemokratischen Regierung von Lionel Jospin und der Kommunistischen Partei Frankreichs; die Plattform 2 (PF2), von der bürgerlichen Presse als „identitaire“ (zu Deutsch in etwa „identitätssuchend“) benannt, die eine Kandidatur Olivier Besancenots für die Präsidentschaftswahlen 2012 anstrebt und eine Rückkehr der NPA „zu ihren Wurzeln“ sowie eine Orientierung auf die Arbeitsplätze anstrebt; die Plattform 1 (PF1), die auf Wahlebene zwischen der PF3 und PF2 schwankt und sich selbst als „antikapitalistisch“ und „einheitswillig“ bezeichnet. Aus dieser Unklarheit resultierend, haben sieben Mitglieder der Parteiführung sich dazu entschlossen, sich der Partie de Gauche anzuschließen. Dies geschieht im Rahmen von einem Mitgliederschwund von etwa 9.000 Anhängern zu Zeiten des Gründungskongresses der NPA auf aktuell etwa 3.550 [1].
Eine strategische Krise
Die Krise der NPA ist nicht konjunktureller Natur sondern stellt vielmehr eine Krise ihrer Strategie dar. Ihre Wurzeln liegen in den Gründungsfundamenten der NPA, einer breiten antikapitalistischen Partei ohne klare strategische und programmatische Abgrenzung, die versuchte, Revolutionäre und radikale Reformisten (also anti-neoliberale Aktivisten) zu gruppieren. Bei letzteren handelt es sich um eine Wendung hin zum Sozialliberalismus der Partie Socialiste (PS; Sozialdemokratische Partei Frankreichs) und ihrem alten Verbündeten in der Regierung, die Kommunistische Partei Frankreichs (PCF), jene Partei der Pluralistischen Linken, enttäuschte Anti-Neoliberale, die sich in verschiedenen Bewegungen wie der Antiglobalisierungsbewegung, dem Feminismus, der Ökobewegung oder unter anderem dem „Nein zur europäischen Verfassung" ausgedrückt hatten.
Dieser entschlossen zentristische Aufbau, geplant durch die alte Führung der ehemaligen Ligue Communiste Revolutionaire (LCR; Revolutionär-Kommunistische Liga), wollte sich nicht nur von der Notwendigkeit eines klar revolutionären Wandels der Gesellschaft losmachen, wie die Abkehr vom Kampf für die Diktatur des Proletariats zum Ausdruck bringt, sondern auch von jeglichem Verweis auf kommunistische und revolutionäre Ziele. Dies spiegelte sich schon im Namen der Neuen Antikapitalistischen Partei wieder, da man sich nach Ansicht der Führung nach dem Mauerfall in einer „neuen Etappe“ befinde, in der die alten Lehren und revolutionären Bezugnahmen der imperialistischen Epoche gekennzeichnet durch Kriege, Krisen und Revolutionen veraltet seien und vielmehr durch vollkommen vage Definitionen ausgetauscht werden müssten, wie der traurig berühmte „Sozialismus des 21.Jahrhunderts“ in Anlehnung an der Chavismus in Venezuela.
Positiv zu vermerken ist jedoch, dass die NPA sich vom Reformismus abgrenzt, gerade auch im Hinblick auf skandalöse Kapitulationen der ex-LCR Schwester-Organisationen in anderen ländern. In Brasilien beteiligten sie sich beispielsweise mit einem Minister an der kapitalistischen Regierung von Lula und in Italien unterstützten sie in der politischen Vereinigung Sinistra Critica innerhalb der Partei Rifondazione Comunista die imperialistische Prodi-Regierung mit ihrem Senator Turigliatto. (Diese Regierung verabschiedete beispielsweise die Kriegskredite für Afghanistan oder dem Libanon, unterstützte das Misstrauensvotum Prodis etc.). Die explizite Abkehr von einer revolutionären Strategie und vom revolutionären Programms lässt jedoch die Tür zum Reformismus permanent offen.
Auf dem Weg zur NPA-Gründung entstanden Hoffnungen, da Olivier Besancenot bei den Präsidentschaftswahlen von 2007 nicht nur bessere Wahlergebnisse als Lutte Ouvrière (Organisation trotzkistisches Ursprunges, historischer Konkurrent von der LCR, deren Präsidentschaftskandidatin bis dahin Arlette Laguiller war.) sondern auch mehr als die Grünen und die Kommunistische Partei erlangte. Diese „Magie“ und die großen Erwartungen konnten sich während der ersten Regierungsjahre Sarkozys aufrecht erhalten, da neben der Krise der PS, der „junge Briefträger“ (wie die bürgerliche Presse Besancenot nannte) als beste Oppositionsfigur zu Sarkozy erschien. Diese besonderen Bedingungen, also die Möglichkeit die vom krisengeplagten alten Reformismus hinterlassene Lücke zu füllen, mitten in der bürgerlichen Restauration, die durch die kapitalistische Offensive der letzten Jahrzehnte bestimmt wurde und die PS immer klarer zu einer offen bürgerlichen Kraft werden ließ, vor allem nach den zwei neoliberalen Regierungszeiten Mitterands, und die dazu führte, dass sie ihre Basis in der Arbeiterschaft verlor, lösten sich jedoch allmählich auf.
Negativ formuliert hat die aktuelle und historische Krise des Kapitalismus dazu geführt, dass die Kluft zwischen dem Antikapitalismus und dem Sozialliberalismus zu einem der meist bevölkerten politischen Räume geworden ist, in dem Organisationen und Meinungen wuchern: dabei sind die schon genannte Partie de Gauche (nach dem Vorbild der deutschen Partei Die Linke gegründet), die relativ erholte (im Rahmen ihres historischen Niedergangs) Kommunistische Partei Frankreichs, die FASE (Föderation für eine soziale und ökologische Alternative), der Linskflügel der Grünen bis hin zum Linksflügel der PS unter Führung von Benoît Hamon, der sich gezwungen sah seinen Diskurs linker auszurichten.
Positiv dagegen wirkt die Tatsache, dass die Arbeiterklasse während der mächtigen Bewegung der Arbeiterklasse und der Jugend im französischen Herbst von 2010 und auch der Streikwelle von 2009 auf radikale Methoden zugriff , und neben ihrer Teilnahme in dieser Bewegung doch das Fehlen einer wirklichen Verankerung in Betrieben und eines echten unabhängigen Programms oder Strategie zu den Gewerkschaftsführungen deutlich wurde. In diesem Zusammenhang war die NPA unfähig, irgendeine Alternative auszuzeigen und schaffte es noch nicht einmal sich mit der neuen Generation der Arbeiterklasse zu umgeben und sie für sich zu gewinnen. Wenn diese Generation auch noch nicht radikalisiert ist, so war die NPA doch nicht einmal im Stande, zumindest ihre progressivsten Teile anzuziehen.
Zwei Jahre nach ihrem Emporkommen stellen sich die Hypothesen, die zur Gründung der NPA führten, als völlig falsch dar: Sei es auf der Ebene des wahl-politischen Raums, wo sich ihre Aussichten aufgrund des in Verruf geratenen Neoliberalismus nach Ausbruch der Krise verschlechtern oder auch auf struktureller Ebene, in der die NPA angesichts der verstärkten kapitalistischen Angriffe auf die Massen und derer Antworten sich unfähig zeigte, im Klassenkampf zu punkten.
Interne lähmungserscheinungen
Angesichts dieser strategischen Krise versuchte die PF3 die Widersprüche des ursprünglichen Parteiprojektes mit einem Schwenk nach rechts zu überwinden. Die PF2 hingegen erklärte, dass die Mehrheit der Führung eine opportunistische Wende vollzogen habe und untergrub so die Basis, die der Ausgangspunkt der NPA gewesen war. Dies hätte sich 2012 in keinen Abkommen mit den Reformisten und die Beibehaltung der Kandidatur von Besancenot —koste was es wolle —ausdrücken sollen, ohne das geringste einheitliche Augenzwinkern.
Die PF1 versuchte in diesem Zusammenhang ein immer schwerer zu haltendes Gleichgewicht zu balancieren, was letztendlich zum Scheitern des Kongresses führte. Sie zog es vor, einen katastrophalen Kongress durchzuführen, statt sich einer der beiden im Streit liegenden Pole anzuschließen, was die Einheit der NPA in Gefahr bringen könnte. Die Führung handelt also nach dem Motto „biegen, aber nicht zerbrechen“. Dennoch geht die NPA stark zugerichtet aus diesem Kongress hervor, politisch komplett gelähmt, was der Kongress noch weiter verstärkt hat. .
Die Rolle der Linken innerhalb der NPA und das Entstehen der revolutionären Plattform 4
Es gibt keine Zweifel an dem offenbar liquidationistischen Charakter der PF3, die nichts mehr und nichts weniger als eine „politisches und soziales Front“ mit den Reformisten bezweckt und somit ein strategisches Bündnis mit ihnen eingeht. Angesichts dieser Politik und der Widersprüchlichkeiten der PF1 sogar auf Wahlebene erscheint die PF2 als eine linke, die diesem Kurs widerstand leistet. Trotzdem ist die Rückkehr zum ursprünglichen Projekt der NPA eine völlig machtlose strategische Orientierung um die programmatischen Grundsätze und Ursprünge der strategischen Krise, die die NPA durchläuft, zu überwinden. Dies führt die NPA eher früher als später (sollte es nicht zu einer 180 Grad Wendung kommen) zur Spaltung oder zum Scheitern. Diese programmatischen und strategischen Einschränkungen der PF2 - bestehend aus Teilen des Linksfflügels der ex-LCR[2], vor allem ihrer Jugendorganisation JCR und anderen Gruppen, die in die NPA eingetreten sind wie die Etincelle (ehemals Fraktion von Lutte Ouvriere, [deutsche Gruppe ist die Sozialistische Arbeiterstimme SAS]), die Gauche Révolutionnaire (eine Strömung, die an die CWI angebunden ist [deutsche Gruppe ist die Sozialistische Alternative SAV]) oder La Commune usw.- erklären die Notwendigkeit der Entstehung der PF4, wo Genossen der Trotzkistischen Fraktion zusammen mit einigen der wenigen in der NPA vertretenen wichtigen Arbeiterführern, Mitgliedern von CLAIRE und andere Mitglieder verschiedenen Ursprungs vertreten sind. Ohne eine programmatische und strategische Umorientierung, vollkommen anders als die von der PF3 vorgeschlagen, ist es unmöglich ein revolutionäres Werkzeug zu entwickeln, dass auf der Höhe der Kämpfe der französischen Arbeiterklasse seit 1995 ist und an die Kämpfe , die im französischen Herbst 2010 einen großen Sprung machten, anknüpft und somit eine Art —wenn auch vorerst besiegte Generalprobe— für die kommenden Klassenkampfauseinandersetzungen darstelltrn. Um zu siegen, braucht man eine offen revolutionäre Partei.
Die Krise des Kapitalismus bringt Radikalität und Unzufriedenheit hervor, doch dies muss nicht zwangsläufig im Marxismus und Klassenbewusstsein enden. Daher müsste die NPA mit derselben Radikalität auf diese ansteigende Wut antworten (jedoch mit einer diametral entgegengesetzten Perspektive) wie die der extremen Rechten der Front National von Le Pen, der den Unterdrückten eine populistische, fremdenfeindliche und rassistische Alternative anbietet. Die NPA muss dagegen mit Klassenbewusstsein und Internationalismus stehen.
Programmatische und strategische Fragen, sowie als auch die Natur der Partei als entweder antikapitalistische oder klare revolutionäre Arbeiterpartei auf unbestimmte Zeit zu verschieben, kann nur zur Demoralisierung der progressivsten Mitglieder des Linksflügels der NPA führen. Dieses Aufschieben wird jedoch von den wichtigsten Plattformen, auch der PF2, durchgezogen. Somit wird auch dem Angriff reformistischer Strömungen außerhalb der NPA nichts entgegengestellt, die versuchen die „Isolation“ der NPA zu durchbrechen und als Massenpolitik zu verkaufen. Doch in der Politik gehen nicht alle Rechnungen auf. Der einzige Weg zu den Massen geht über eine revolutionäre Umorientierung der NPA, und dies ist der einzige Weg, damit die NPA in den kommenden Klassenkämpfen eine Rolle spielen kann und gleichzeitig das zentrale Gerüst um die neue Generation der Arbeiterklasse für Ideen von Kommunismus und proletarischer Revolution zu gewinnen. Alle anderen Abkürzungen führen nur zur Niederlage.
Fußnoten
[1] Dies beinhaltet einen ziemlich hohen Prozentsatz, höher als 10% der Prokura, d.h. jene angeschlossenen Personen, die aus verschiedenen Motiven nicht persönlich in den Versammlungen anwesend waren. Der Begriff „Angeschlossener“ ist wissenschaftlicher Natur, denn zur NPA anzugehören impliziert nicht eine tägliche Militanz in irgendeiner Struktur, nicht mal die regelmäßige Teilnahme an den wöchentlichen Komiteetreffen. Diese Politik wird explizit durch die NPA-Führung gegen das Modell des professionellen aktiven Mitglieds befürwortet, unter dem Argument, jeder trägt zur NPA im Rahmen seiner Möglichkeiten bei.
[2] Ein anderer Teil befindet sich in der PF1, was ein unheimlicher Druck für die wichtigsten Anführer der PF2 bedeutet, denn sie versuchen ständig eine „neue Mehrheit“ aufzubauen, die sie als lösung zur Krise der Partei ansehen.