90 Jahre Novemberrevolution
15/01/2009
„Ich war, ich bin, ich werde sein!"
“Der neunte November wird in Deutschland gemeinhin als “Schicksalstag der Geschichte” bezeichnet. Der Fall de Berliner Mauer 1989 oder die faschistischen Pogrome gegen Juden im Jahre 1938 werden erinnert, doch das wichtigste Ereignis eines neunten Novembers erscheint meist nur am Rande der offiziellen Geschichtsschreibung: die deutsche Revolution von 1918.
Riesige, teilweise bewaffnete Demonstrationszüge unter roten Fahnen zogen am Morgen des 9. November 1918 aus den proletarischen Außenvierteln ins Stadtzentrum Berlins. Aus den meisten Kasernen, an denen sie vorbeizogen, schlossen sich ihnen Soldaten an. Der Generalstreik in der Industrie, der Post und Telegrafenämter und der Reichsbahn brachten bis zum Mittag zehntausende ArbeiterInnen in das Zentrum der Hauptstadt, die „Frieden, Freiheit, Brot!“ schrien. Die Bewegung, die wenige Tage zuvor mit dem Aufstand der Matrosen in Kiel begonnen und sich rasend schnell über das ganze Reich ausgebreitet hatte, hatte nun auch die Hauptstadt erreicht und auch hier die jahrhundertealte Monarchie hinweggefegt. Zwei Tage später hatte das imperialistische Massenmorden des Ersten Weltkriegs ein Ende.
Ein derartig abruptes Ende des Krieges erschien bei seinem Ausbruch vier Jahre zuvor eine kaum wahrscheinliche Option. Von einer beispiellosen nationalistischen Welle erfasst, zogen 1914 Millionen begeistert für Kaiser, Volk und Vaterland in den Krieg. In diesen Jahren bewies die Sozialdemokratie ihre deutliche Einbindung in den bürgerlichen Staat und verriet so sowohl ihr eigenes Programm als auch alle Beschlüsse der Internationalen Sozialistenkongresse. Und obwohl hunderttausende SPD-Anhänger sich noch im Sommer 1914 gegen den nationalistischen Taumel stemmten und gegen den drohenden Krieg auf die Strasse gingen, stimmte die sozialdemokratische Reichstagsfraktion den Kriegskrediten zu und die Parteiführung schloss einen „Burgfrieden“ mit Regierung und Militärs.
Es waren anfangs nur wenige aufrechte SozialistInnen um Clara Zetkin, Franz Mehring, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die an einer radikalen Antikriegshaltung festhielten. Die Entscheidung der sozialdemokratischen Führung traf sie schwer. Da sie innerhalb der SPD gekämpft hatten, rächte sich nun das Versäumnis rechtzeitig ihre Kräfte in den Aufbau für eine unabhängige Organisation gelegt zu haben: Sie standen bei Kriegsbeginn ohne Zeitungen, ohne Gelder, ohne ein landesweites Netzwerk da. All das musste in den folgenden Kriegsjahren unter dem permanenten Repressionsdruck der Polizeibehörden mühevoll und heimlich aufgebaut werden und endete immer wieder in Verhaftungen von AktivistInnen des gerade entstandenen Spartakusbundes, ihrer ständigen Verfolgung und des Verbots ihrer Zeitungen oder Beschlagnahme der Flugblätter. Und trotzdem verbanden sich ihre radikalen Positionen allmählich mit der wachsenden Wut in der Arbeiterklasse über die schrecklichen Opfer des Krieges. Ab 1916 konnten erste Demonstrationen und bald auch Streiks gegen den Krieg organisiert werden, und die ständige Agitation der Spartakusgruppe setzte die gemäßigten Kriegsgegner in der SPD so stark unter Druck, bis eine neue Partei, die USPD zum Leben erweckt wurde. Wenn sie sich auch zwei Jahre später wieder spaltete und einige in den Schoß der SPD zurückkehrten, so schafften sie es doch die Arbeiterklasse zu mobilisieren und zu organisieren. Sie bewirkten schon in den ersten großen Streiks eine zeitweise Lahmlegung der Produktion der Waffenindustrie und so begann eine Massenbewegung aus den Fabriken heraus, die sich ein Jahr später mit Millionen ArbeiterInnen gegen den Krieg auflehnte, die sich organisierten, demonstrierten und die Waffen in die Hand nahmen.
So lag die Macht im November 1918 überall im Land in den Händen von Arbeiter- und Soldatenräten. Ihre Mitglieder wurden meist in Betrieben und Kasernen demokratisch gewählt, waren ihrer Basis rechenschaftspflichtig und konnten jederzeit abgewählt werden. Sie organisierten das öffentliche Leben, die Verteilung von Nahrung und die Demobilisierung der Soldaten. Spontan war so aus den Kämpfen der Massen eine reale Alternative entstanden, die den frischen russischen Erfahrungen der Sowjets folgte: die Rätedemokratie. Eine Alternative zum Stellvertretertum des bürgerlichen Parlamentarismus, die die Bourgeoisie und die sozialdemokratischen Reformisten (auch die Führung der USPD mit Karl Kautsky) erschüttern lies. Durch diese Bewegung der Arbeiter- und Soldatenräte wurde der Kaiser gestürzt, der Waffenstillstand und somit das Ende des ersten Weltkrieges möglich gemacht.
An diesem Tag rief Karl Liebknecht die Freie Sozialistische Republik Deutschlands aus forderte die Weltrevolution. Doch währenddessen bereitete die soziademokratische Führung das Abfangen der Novemberrevolution vor, als Scheidemann parallel zu Liebknecht die demokratische Republik ausrief. Hier begann die lange Geschichte des Verrats an den historischen Interessen der Arbeiterklasse auf dem Altar der bürgerlichen Demokratie. Die SPD nutzte ihren Einfluss innerhalb des Proletariats und die Kriegserschöpfung aus, um die Mehrheit der Arbeiter- und Soldatenräte davon zu überzeugen, ihre Macht an die neu entstandene Weimarer Republik abzugeben. Wo sich die Räte, wie in Bremen oder München weigerten, ihre Macht abzugeben, oder wo, wie in Berlin, die Revolutionäre weiter für ein Vorantreiben der Revolution kämpften, wurden sie durch ein Bündnis der SPD mit den „alten Mächten“ blutig niedergeschlagen. Luxemburg und Liebknecht sind nur die bekanntesten Toten von vielen, die für eine internationale Revolution des Proletariats, die im Kampf für eine sozialistische Rätedemokratie starben.
Die Errungenschaften der Weimarer Republik - wie das Frauenwahlrecht, der Achtstundentag, Betriebsräte - wären ohne die revolutionären Aktionen der Massen im November 1918 nicht möglich gewesen. Doch die Kapitalisten, die Deutschland bereits in den 1. Weltkrieg getrieben hatten, behielten ihre Macht. Staatsapparat, bürgerliche Justiz und Militär wurden letztendlich nicht vernichtet. Deswegen beschreibt der russische Revolutionär Leo Trotski diese Heldentat wie folgt: „Was die deutsche Revolution von 1918 betrifft, so ist sie keine demokratische Vollendung der bürgerlichen Revolution: es ist eine von der Sozialdemokratie enthauptete proletarische Revolution: richtiger gesagt, es ist die bürgerliche Konterrevolution, die nach dem Siege über das Proletariat gezwungen ist, pseudodemokratische Formen zu bewahren.“[1]
Auch die Säuberung von reaktionären, monarchistischen Gegnern in der Republik unterblieb. Im Bündnis mit den Nationalsozialisten konnten diese „Eliten“ so 1933 die Republik beseitigen, die Arbeiterbewegung zerschlagen und sie erneut in ein imperialistisches Massaker schicken: der Zweite Weltkrieg.
Die Lehre, die wir, Revolutionäre der Trotzkistischen Fraktion für die Vierte Internationale, heute von der Novemberrevolution ziehen, ist die Sicherheit, dass ein wahrhafter Regimewechsel nur durch die direkte Aktion einer Massenbewegung zu erzielen ist, die durch eine reife revolutionäre Organisation geführt wird und dass eine Rätedemokratie nicht nur notwendig, sondern auch möglich ist. Doch wir sollten auch nicht so naiv sein zu glauben, dass seit jenen Jahren der, die Arbeiterklasse erziehende Reformismus und die imperialistischen Ideologien nicht tiefe Spuren unter den Ausgebeuteten in Deutschland zurück gelassen hätten. Deswegen ist es notwendig, gegen diese Vorstellungen zu kämpfen; darzulegen, dass die Befreiung der Unterdrückten ihr eigenes Werk ist und Lehren aus der bitteren Niederlage des revolutionären Prozesses von 1918/19 gezogen werden müssen um für die Entstehung einer neuen Generation von Revolutionären auf deutschem Boden zu kämpfen.
Heute, 90 Jahre nach der Novemberrevolution, heute, da aktuell die weltweite Kapitalismuskrise Antworten fordert, ist es dringender denn je diese kapitalistische Ordnung niederzureißen um eine neue Gesellschaft, in der alle Menschen frei und gleich sind aufzubauen. So werden Rosa Luxemburgs Worte vielleicht bald zu neuem Leben erweckt, als sie am Abend vor ihrer Ermordung schrieb: „Ordnung herrscht in Berlin! Ihr stumpfen Schergen! Eure Ordnung ist auf Sand gebaut. Die Revolution wird sich morgen schon rasselnd wieder in die Höh’ richten und zu eurem Schrecken mit Posaunenklang verkünden: Ich war, ich bin, ich werde sein!“[2]
[1] Leo Trotski in seiner Einleitung zu „Die permanente Revolution“ (1930)
[2] Rosa Luxemburg für die „Rote Fahne“ (14.1.1919)